Damit es nicht so ins Treppenhaus lärmte, betrat ich den Flur, zog die Tür hinter mir zu, blieb wie angewurzelt stehen und nickte lächelnd anderen im Gang stehenden Leuten zu, wenn sie in meine Richtung guckten. Es war so laut, dass sie bestimmt nichts von unserem Gespräch mitbekommen hatten. Immerhin etwas. Auffallend gut angezogen waren die Gäste, ich kam mir in meinem ausgebleichten Rush-T-Shirt und den alten Jeans noch mehr fehl am Platz vor, als für gewöhnlich. Es lief irgendwas aus der Rocky Horror Picture Show, oder was auf dem Soundtrack nicht fremd gewirkt hätte. Vereinzelt sangen Leute mit, aber hier im Flur war eher Verschnaufpause angesagt. Und Knutschen.
Dann kam die Bierverkipperin zurück und reichte mir eine kleine Schere. „Vorsicht, die ist scharf.“
„Darum ging es mir ja, danke. Ich bring sie gleich zurück.“
„Du meinst nächstes Jahr?“
Ich grinste schmerzhaft und war so schnell wieder aus der Tür, wie ich nur konnte.
Während draußen die ersten Raketen explodierten, stand ich vor dem Spiegel in meinem Badezimmer und versuchte mir die Haare zu schneiden. Das war gar nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Alle Bewegungen muss man spiegelverkehrt ausführen, und wenn es knallt sollte man weder zusammenzucken, noch versehentlich – Schnipp. Außerdem hatte ich keine Haarklammern, sondern nur Haargummis, und Wäscheklammern taugten nicht als Ersatz, um die Strähnen irgendwie voneinander zu trennen. Die ersten Haare waren trotzdem bald ab, hingen mir jetzt zur Abwechslung in die Augen, was das Schneiden allerdings weiter erschwerte. Wahrscheinlich hätte ich hinten anfangen sollen, wo man sowieso nicht sieht, was man anrichtet? Also durchtrennte ich mit schnellen Schnitten den Zopf, um Tatsachen zu schaffen, ehe ich doch noch einen Rückzieher machen konnte. Dann kam der Moment der Einsicht, dass ich es wahrscheinlich nur noch schlimmer machen würde, wenn ich weiter herumdilletierte, also ließ ich es so, obwohl mir die Haare büschelweise wie geschmolzene Orgelpfeifen um den Kopf hingen. Trage ich halt später eine Mütze zur Arbeit und gehe dann morgen zum Frisör. Ich gähnte und sah auf die Schere in meiner Hand. Ach so, ja scheiße, bringe ich besser mal noch schnell zurück.
So kann man sich irren.
„Ich hatte mich noch gar nicht vorgestellt, oder?“, fragte die jetzt etwas stabiler als vorhin stehende Besucherin, die mir erneut die Tür geöffnet hatte. „Olga.“
„Hallo Olga, ich bin immer noch Johann“, sagte ich. „Stehst du schon den ganzen Abend hinter der Tür?“
„Nee, Leichtathletin. Der Impuls Erste zu sein ist stärker als ich.“ „Ich glaub ich kann nicht ganz folgen …“
„Startschuss Türklingel?“
„Ah, ok.“
„Und?“
„Was?“
„Ja, was führt dich jetzt zu uns, Johann?“, wollte Olga wissen. „Jetzt doch Lust auf Party?“
„Ich? Nein.“ Ich hielt ihr die Schere hin. „Ich wollte die hier zurückbringen.“
„Bevor du raus gehst.“
„Wieso?“
„Na, wegen der Mütze?“
„Ach, nee, das … ist ne lange Geschicht… heh!“