Karin-oder-wie-sie-richtig-heißt war gestern nicht da. Das Buch habe ich trotzdem wieder abgegeben. Immerhin musste ich mich deswegen keinem Test stellen.
Ich saß dann etwas geknickt zu Hause herum und wusste nichts mit mir anzufangen. Dann surfte ich im Internet und landete auf einer Seite, wo man Tassen gestalten kann. Wieso hatte ich die in meinem Browserverlauf? Ach richtig, da hatte ich Weihnachten überlegt einen Traveller-Thermobecher für Lukas zu machen, mich dann aber dagegen entschieden. Jetzt guckte ich in den Becher, wie in einen Pistolenlauf und hatte eine Idee. Erst habe ich ein Bild aus dem Bondvorspann gesucht, wo ein weißer Punkt erst Kleckse auf die Leinwand macht und dann, wenn es darauf ankommt abzudrücken, Ladehemmung hat und erschossen wird. Aber James habe ich daraus entfernt und durch eine weibliche Silhouette mit Dutt ersetzt, die eine „Psst!“ Geste in die Röhre macht. Sieht fast so aus, als würde sie über eine Fingerpistole pusten. Gefällt mir richtig gut. Links von dem Bild steht You can call me Karin, und rechts Karin Bibliothé. Habe ich jetzt direkt so bestellt. Als „magische Tasse“, also man sieht das nur, wenn heiße Flüssigkeit drin ist. Wahrscheinlich trinkt sie bei meinem Glück aber nur Leitungswasser, und kriegt das Bild nie zu Gesicht. Na ja, einen Versuch ist es wert, und jetzt muss ich sowieso die Lieferung abwarten.
Je länger ich darüber nachdenke, was Mutter mir erzählt hat, desto mehr erkenne ich das um mich herum. Nadine war uns ja schon voraus, Daniel genauso wie mir. Oder meine Schwärmerei für ältere Frauen – was ist das denn anderes? Das ist ja kein Grund sich deswegen angegriffen oder beleidigt zu fühlen, es ist schlicht eine Tatsache. Alle glücklichen Paare, die ich kenne funktionieren deswegen, das bricht einem doch keinen Zacken aus der Krone. Man kennt es genauso aus dem Tierreich: die Löwinnen bringen das Essen nach Hause, nicht der mit den hochtoupierten Haaren. Warum habe ich jetzt nur die ganzen Hair-Metal-Kapellen der 80er vor Augen?
Zeit, dass ich mich auf den Weg in die Arbeit mache.
Schwester Anita war so froh mich zu sehen, ich weiß gar nicht warum. So ist sie sonst nie. Ich fühle mich ehrlich gesagt sogar ein wenig geschmeichelt. Regelrecht unheimlich ist mir das. Wir plauderten über den Jahreswechsel, sie komplementierte meine kurzen Haare, und waren zu gut gelaunt, um über die noch immer verheerenden Brände auf der anderen Seite des Planeten zu reden. Ich seufzte.
„Was ist?“, fragte Schwester Anita.
Ich zuckte mit den Achseln. „So wie Australien heute brennt … in etwa so habe ich mir das in den 80ern mit dem Ozonloch vorgestellt.“
Sie nickte.
Das wäre der perfekte Moment gewesen, um mich für die Schlüsselrunde zu verziehen, aber der PJler von Station 4 übernahm die. Gerne hätte ich ihn begleitet, um mir das mit den Weihnachtskeksen nochmal erklären zu lassen, aber was soll’s. Bin ja zum arbeiten hier.