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Wieso steigen die Zahlen eigentlich immer noch weiter? Es liegt doch alles lahm, verdammt!

Ticke-di-tacke-di-tack.
In der Ruhe liegt die Acht.

Eine Kinderärztin in Seattle zieht sich vor der Tür aus, bevor sie ins Haus geht. Nackig. Schuhe draußen in die Schachtel, Klamotten in Beutel, und dann ein Sprint unter die Dusche. Ob ich das vielleicht auch machen sollte? Wenn ich bei uns im Treppenhaus blank ziehe, dann verdunkelt sich der Türspion gegenüber und ehe ich aufgesperrt hätte, würde ich völlig trocken in einer Ausnüchterungszelle landen. So sieht’s doch aus.

Mir fällt es gerade schwer zu atmen. Eigentlich fast lustig, weil ich ja sogar erfolgreich das Rauchen aufgegeben habe. Gut, nicht lange genug, dass sich meine Lunge schon langsam erholen würde – das wird Jahre im Anspruch nehmen –, aber so bedrückt habe ich mich nie gefühlt. Nicht einmal nach Partywochenenden, an denen ich doppelt so viel geraucht habe wie sonst, schachtelweise.
Nur ist mir jetzt nicht nach Lachen zumute. Es wird sich so viel mehr ändern, worauf ich aber überhaupt keinen Einfluss habe. Wir müssen uns an einen gänzlich anderen Lebenswandel gewöhnen, und das will ich nicht. Mindestens zwei Jahre lang, bis es einen ersten Impfstoff gibt? Scheiße, und das ist noch optimistisch, aber dann sind ja noch keine acht Milliarden Menschen automatisch damit geimpft. Wie lange braucht das dann? Noch einmal zwei Jahre? Vorausgesetzt das Scheiß-Virus mutiert zwischendurch nicht aus Langeweile, sonst geht der ganze Zirkus mittendrin wieder von vorne los.
Da! Mein Puls geht schon wieder hoch, ich krieg keine Luft mehr, Panikattacke.
Ich will das nicht! Ich will nicht jahrelang auf alles verzichten, vorsichtig sein müssen und alles, weiß aber gleichzeitig, dass wir gar keine andere Wahl haben. Wieso wurde ich nicht gefragt? Warum durfte ich hier nicht mitreden? Ich habe doch keine Abstimmung versäumt!
Jetzt sind wieder Jahre ohne mein Zutun verplant worden. Das ist ungerecht!
Moment, wieso wieder? Ach so, ja, wie Schule. Schulpflicht erfüllen, und jetzt Infektionssschutzpflicht. Für die Gesellschaft, für alle. Der Zwang gefällt mir nicht, aber diemal gebietet es wenigstens die Vernunft. Aber welche Ausrede hatte denn die Schule?

Das alles macht mich traurig, wütend und hilflos zugleich. Ich kann nichts dafür, und muss trotzdem darunter leiden. Aber alle anderen auch. Eigentlich birgt das ja auch die Chance auf eine uns einende Gesellschaftserfahrung, wie es lange keine gab. Fast wie ein Krieg, der einen gegen einen gemeinsamen Gegner zusammenschweißt. Nur eben keinen, den man mit bloßem Auge sehen kann. Immerhin kein eingebildeter Feind, den man stellvertretend verbrennen kann.

© Jens Prausnitz 2023

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