30. Dezember 2019 – Spätschicht

Verdammt, jetzt weiß ich es wieder, 107! Das war kein Raum in der Schule, auch kein Buch in der Bibliothek, sondern ein Hotelzimmer. Nadjas Hotelzimmer in Darmstadt. Nicht meins. Sie kam zu mir in den vierten Stock. Aber wieso erinnere ich mich an ihre Zimmernummer und nicht an meine?

Es ist schon nach Mitternacht, aber ich kann jetzt nicht schlafen, also fuck it. Mein Herz schlägt gerade fast so schnell wie damals. Wann war das nochmal? Es muss 2002 gewesen sein, in dem Sommer als ein paar Gummistiefel später die Bundestagswahlen entschieden. Mit Hochwasser in Sachsen und Bayern.
Sie wollte sich das ESA-Satellitenkontrollzentrum ansehen, und als sie fragte, ob ich nicht Lust hätte sie zu begleiten, da habe ich nicht überlegen müssen. Mit ihr wäre ich auch zum Mond gelaufen, wenn sie gefragt hätte.
Ich hatte die Zimmer für uns gebucht und mich geärgert, dass sie nicht auf dem gleichen Stockwerk lagen. Natürlich hätte ich ein Doppelzimmer nehmen können, nichts lieber als das, aber dann wäre Nadja wohl kaum gekommen. Da war sie zwar gerade wieder von Daniel getrennt, wenn ich mich recht erinnere, aber deswegen waren sie ja trotzdem irgendwie weiter zusammen, wie immer.
Ich wollte nichts dem Zufall überlassen, also bin ich schon am Vorabend hingefahren und habe uns die Hotelzimmer vor Ort gebucht. Das lag sehr nah am Bahnhof, wie auch das Kontrollzentrum. Zwar habe ich kurz überlegt, ob ich vielleicht ein anderes Hotel suchen sollte, wo die Einzelzimmer durch eine gemeinsame Tür verbunden wären, so wie im Film. Aber dann nahm ich doch die beiden und fragte sie in einer SMS, welches sie bevorzugen würde, und sie wählte die 107.
Ich habe in der Nacht kein Auge zu bekommen, genau wie jetzt auch. Mir war gleichzeitig zu heiß und zu kalt. Damals lief ich erst im Zimmer auf und ab, und dann durch die nächtlichen Straßen. Jetzt reihe ich Wort an Wort und Satz an Satz.
Irgendwann muss ich eingenickt sein, denn mich weckte eine SMS, die sie mir von unterwegs schickte. Heute würde ich sie zum ersten Mal alleine treffen, seit sie aufgelöst vor meiner Haustür gestanden hatte. Ich antwortete, dass ich mich auf den Weg machen würde, und wälzte mich aus dem Bett Richtung Bad. Bevor ich dort ankam, piepte bereits das Handy mit ihrer Antwort. Also hechtete ich zurück auf’s Bett, wo es am Ladegerät hing. ‚So spät erst?‘ wollte sie wissen. Ich begriff nicht gleich, dann sah ich auf die Uhr. Sie saß schon seit zwei Stunden im Zug. Also schrieb ich, dass ich nicht schlafen konnte, und so ging es von da an hin und her, wir schrieben und piepsten einandern in einen Rausch.
Mich hielt nichts mehr im Hotel. Der Fahrstuhl nach unten brauchte zu lange, also verließ ich ihn beim ersten Stop wieder und nahm zur Überraschung anderer Hotelgäste die Treppe daneben. Immer in Sorge, dass ich ihre nächste Antwort verpassen könnte. Das musste ich ihr direkt schreiben. In der Lobby fragten sie mich, ob ich schon auschecken wollte, und ich verneinte. Ich muss komisch ausgesehen haben, wie ich da so auf und ab lief, ständig auf das Telefon starrend, das auch ohne Unterlass fiepte. Aber wo ich schon mal da war, wollte ich wissen, ob ich denn das Zimmer eventuell verlängern könnte. Keine Ahnung was ich da im Kopf hatte. Ein Gefühl, als wäre da wieder ein sich schließendes Zeitfenster. Eins von dem ich noch nicht einmal wusste, ob es überhaupt offen war, aber ich wünschte mir nichts sehnlicher.

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