Kaum habe ich Nachschicht und schlafe den Rest des Vormittags, nehmen die Albträume eine bekloppte Wendung. Lukas hat auf dem großen Pausenhof ein Zelt aufgeschlagen, war aber gerade nicht da, sondern im Keller des A-Baus. Im Werkraum, wenn ich mich nicht irre. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht mehr, ob der A-Bau überhaupt unterkellert war. Mir ist, als würde ich da was mit dem B-Bau verwechseln. Aber stimmt schon, Werken hatten wir doch dort unten? Ich habe direkt den Geruch von verschmorendem Styropor in der Nase, das wir mit heißem Draht zugeschnitten haben. In einem Raum ohne Fenster – kann das sein? Natürlich alles ohne Maske, das war ja Mitte der 80er Jahre. Aber uns gleichzeitig in Biologie zur Abschreckung Bilder von Raucherkrebs zeigen, wie sie heute auf den Zigarettenschachteln abgebildet werden. Prädikat besonders teervoll, Pädagogik mit dem Vorschlaghammer. Hätte bestimmt mehr Eindruck gemacht, wenn das Lehrerzimmer nicht eine riesige Aschentonne gewesen wäre und auch so roch.
Jedenfalls hatte Lukas da Wurzeln geschlagen und wollte etwas ernten. Ich stand nur oben schmiere und guckte über den Pausenhof zur alten Turnhalle, die dunkel dalag. Die Tun-Halle. Dort zählte was man tat, nicht was man sagte. Eigentlich gar kein schlechtes Prinzip, wenn nur nicht die elende Turnerei gewesen wäre. Wenn wir spielen durften, war Sport gar nicht so schlecht. Sogar Völkerball, wenn man mal vom Namen absah. Aber man wurde nie den Eindruck los, dass heimlich nach potentiellen Leichtathleten und Geräteturnern gesucht wurde, um den Medaillenspiegel der nächsten Olympischen Spiele aufzubessern. Stattdessen versagte bei uns zunächst die Hilfestellung, wie hinterher die erste Hilfe, wenn mal wieder wer vom Reck, dem Barren oder anderweitig auf den Boden krachte. „Jetzt stell dich doch nicht so an, Johann“, war schon die einfühlsamste Variante an Zuspruch, meisten hieß es nur: „Nochmal. Hinten anstellen.“
Ich textete Clara, dass ich gerne mit ihr sprechen wollte, aber sie schrieb zurück, dass es gerade nicht ginge, sie würde sich bald melden. Und tatsächlich rief sie mich eine halbe Stunde später an, was mich wiederum überraschte. Unter der Dusche, um genau zu sein. Im Hintergrund hörte ich Berliner Straßenlärm.
„Was gibt es denn so dringendes?“, fragte sie.
„Ich wollte mal hören, wie es dir geht. Ist ja schon eine Weile her“, begann ich so unauffällig wie möglich. „Wie geht es in der Schule?“
„Nicht zum aushalten!“, rief sie –was aber zur Hälfte der Geräuschkulisse geschuldet war. „Nicht einmal die Hälfte trägt Maske, oder eben nur unter der Nase. Manche kommen aber gar nicht wieder.“
„Welche mit Vorerkrankung?“
„Ja, schon, aber auch ein paar andere. Angeblich haben die ein Attest.“
„Wieso, was vermutest du denn?“