26.07.20

Heute habe ich Dr. Heßler besucht, was ihm während der Nachschicht versprochen hatte, dann habe ich aber lieber Zeit mit Walentyna verbracht. Wir haben uns sogar gegenseitig aus Büchern vorgelesen, um eins zu finden, das ich übermorgen mit in die nächste Nachtschicht nehme.
Erst war er ein bisschen muffelig, aber nur weil er wenig von meinem Vorschlag hielt seine Höhle mal ordentlich durchzulüften, und so lange mit mir spazieren zu gehen, oder vielleicht auf ein Eis. Das mit dem Eis haben wir aber gelassen. Rausgegangen ist er dann trotzdem mit mir und wir haben uns ins Magellan gesetzt. Draußen natürlich. Ein griechisches Omelett später war auch seine Laune besser, und ich begnügte mich mit einem Augustiner.
„Wieso trinkst du eigentlich immer aus der Flasche?“, fragte er mich, nachdem ich den Kellner gebeten habe das Glas wieder mitzunehmen.
„Macht der Gewohnheit“, sagte ich glücklich.
„Wie ist dein Experiment denn nun ausgegangen?“ „Zufriedenstellend“, antwortete ich und fasste die Ereignisse zusammen, die er in der Klinik versäumt hatte.
„Also das mit den Namen finde ich auch zu blöd“, stellte er fest, als ich fertig war. In der erst noch anstehenden Migrationskrise wird das aber nicht reichen. Sicher können wir uns hier zurücklehnen und sagen, was jucken mich Hitzetote, Dürre und Überschwemmungen in der dritten Welt, so lange sie nur weiter meine Billigklamotten nähen? Dabei wird halt vergessen, dass die woandershin gehen werden, wenn man dort nicht mehr leben kann: und zwar dahin, wo leben noch möglich ist. Wohin willst du Menschen abschieben, wenn es kein anderswo mehr gibt?“
„Das wissen sie doch auch“, sagte ich.
„Aber darüber geredet habt ihr nicht, oder?“ Ich schüttelte den Kopf. „Siehst du. Wir machen es uns zu leicht, und dann langweilt uns natürlich alles und wir ändern unsere Namen, um ja nicht mehr mit unserem bisherigen Versagen konfrontiert zu werden. Der Witz ist eigentlich, dass es ja spannend würde, wenn man die Komplexität annimmt. Denn dann müssen auch die Lösungsansätze dieser Komplexität gerecht werden. Dann geht es nicht um die Umwandlung von ein paar Parkplätzen in einen Radweg in Paris, sondern eine gänzlich andere Städteplanung. Man sieht dann autofreie Altstädte, in die man sonst nur im Urlaub fliegt, mit anderen Augen. Als würde man diese zu sich nach Hause holen, selbst in ihr leben, weil alles zu Fuß erreichbar ist: die eigene Wohnung, der Arbeitsplatz, Lebensmittel, Schule, Amt und Freizeit, und alles in sauberer Luft, ohne Lärm von Autos. Erinnert dich das an was?“
„Dass ich meinen Urlaub in einer Ruine verbracht habe?“

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