01.01.20

So weit ich das beurteilen konnte, fielen nach dem Unterhemd nur abgeschnittene Haare zu Boden, und mir lief nirgendwo heißes Blut aus klaffenden Wunden über den Hals. Da sich mein Coiffeur nicht vom Fleck bewegte, konnte er auch keinen Drehwurm kriegen. Stattdessen drehte Diodato mich mitsamt dem Stuhl, weil angeblich das Licht in der Küche nur aus dieser einen Ecke seinen Ansprüchen genügte. Aber vielleicht wollte er auch nur ein bisschen angeben, zwischendurch seine Feinmotorik lockern, was weiß ich. Es war jedenfalls alles gut, bis DJ Manfred als nächstes „Stuck in the middle with you“ auflegte. Auf den Filmwechsel in meinem Kopf hätte ich gerne verzichten können.
„Als ich sagte leg was mit Madsen auf, meinte ich die Band, nicht den Schauspieler!“, rief Olga, ein paar Anwesende lachten.
„Sind doch eh alle miteinander verwandt“, mutmaßte ein Experte mit der Betonung auf Ex.
Thomas stöhnte: „Dieser Haarwirbel zum Pony hin ist echt tricky…“ Er sah so aus, als stiege ihm der zuletzt konsumierte Alkohol jetzt zu Kopf.
„Den hab ich von meiner Mutter“, schluckte ich. „Mit dem haben alle Probleme.“
„Na, na, na, so redet man nicht über seine Mama“, schimpfte Thomas, und watschte sich ins Gesicht – Vorhand, Rückhand – beide Backen, und machte dann kleine Tanzschritte, vier vor und drei zurück. „Das bisschen Wirbel ist doch kein Problem für mich.“ Dann sang er auch diesen Refrain mit, gefühlt drei Oktaven unter dem Original, dass es mir im Bauch kribbelte. Resonanzfrequenz. Oder Schmetterlinge im Bauch, die sich zu verstecken versuchten.
Lange Rede, kurzer Sinn, die Haare waren abgesehen von einem kleinen unglücklichen Pikser nach zwanzig Minuten ab, und ich blieb danach noch eine halbe Ewigkeit auf der Party. So gut habe ich mich lange nicht amüsiert, und beinahe hätte ich noch mit Olga geknutscht, aber der war so schlecht, dass sie vorher einschlief.
Thomas wäre glaube ich gerne für sie eingesprungen, aber ich redete mich auf meine Frühschicht raus, die gar keine war. Geld wollte er auch keins von mir nehmen, er meinte das sei genug Werbung für die Partygäste gewesen, und Spaß hätte es ihm ja auch gemacht.
„Und wegen dem Unterhemd?“
„Ach, das mache ich auf jeder Party. Nur normalerweise mit den Händen. Ich schluckte, nickte lächelnd und flutschte aus der Wohnung. Im Treppenhaus war es kühl und vergleichsweise still. Mir pfiffen die Ohren.
Meine Wohnung kommt mir jetzt viel kleiner vor, dabei ist sie genauso geschnitten, wie mein Kopf. Also wie der Grundriss natürlich. Nur spiegelverkehrt? Aber das ist es nicht. Sie ist leerer. Und ruhiger. Nicht so … lebendig. Ja. Das ist es. Und jetzt bin ich traurig. So schnell kann es gehen. Die Party kann ich immer noch toben hören. Ob ich noch einmal hochgehe?

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.