Zwei Tage habe ich jetzt über das Weihnachtsproblem nachgedacht. Mama ist da eh wieder im Altenheim, dekoriert und hilft und macht, während die Bewohner, die darauf Wert legen zur Kirche und zurück gekarrt werden. „Wenn sie Glück haben“, wie meine Mutter immer anmerkt. Mit Kirche brauchte man ihr nicht kommen. Spätestens als Papa nicht wiederkam war auch ihr Glaube an diese Institution auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ja, es gab zwar hier und da Unterstützung für sie als Alleinerziehende, aber mit einer unterschwellig mitschwingenden Schuldzuweisung als Zugabe. Als wäre das eine Strafe von Oben gewesen, für etwas, das sie getan hätte. Weil mein Vater war ja weg, damit galt für ihn wohl die Unschuldsvermutung, oder was weiß ich. Auf jeden Fall machte meine Mutter damals mit der Täter-Opfer-Umkehr Bekanntschaft. Wieder einmal. Und auch wenn sie damals ihren Ärger und die Wut mir zu liebe runtergeschluckt hat, so hat sie es ihnen nie vergeben, weder den Institutionen, noch meinem Vater.
Nein, für Mama war es wichtig für diejenigen da zu sein, die einen brauchten. Von daher würde sie mich unter Garantie dazu ermuntern nach Berlin zu fahren. Wahrscheinlich nicht einmal deswegen, weil die Kinder ihren Patenonkel so lange nicht gesehen haben, sondern umgekehrt. Sie sah mir an der Nase an, wie sehr mir die beiden fehlten. Sie hatte ja auch gesehen, wie gut sie mir getan haben, in den letzten Jahren, als sich so etwas wie Stabilität bei mir eingestellt hat. Und sie hat nie wegen Enkelkindern gequengelt, nicht ein einziges Mal. Obwohl ich weiß, dass sie keine Einwände dagegen gehabt hätte, nein, sie hätte jede Anzahl Kinder mit offenen Armen empfangen. Nur war ihr eben noch wichtiger, dass sie mir da nichts reinredete. Zur Vaterschaft kann man sich auch gedrängt fühlen, weil man die zur Karriere braucht, und wenn man nicht mit Kinder kann, dann bleibt man halt länger im Büro.
Mama hat mich jedenfalls nie in der Richtung gedrängt, weder zur Karriere, noch zum Kind. Und nicht nur meinetwegen, sondern auch wegen der möglichen Mutter ihrer Enkel, die nicht das Gleiche durchmachen sollte, wie sie. Vom Kind natürlich ganz zu schweigen. Denn sie wusste nicht einmal, wie sie sich einen guten Vater vorstellen sollte. Weder aus ihrer eigenen Kindheit, noch bei mir. Sie hat auch nie versucht aus mir den Vater zu machen, den sie sich für mich gewünscht hätte. Ich war keine Ersatzbeziehung, die fand sie ja in ihrer Arbeit und Trost in den Erzählungen von noch beschisseneren Ehemännern, die geblieben waren, anstatt zu gehen.
Worüber ich mir den Kopf zerbrochen habe, war der Gedanke Daniel und Nadja zu fragen, ob ich Mama vielleicht mitbringen könnte. Denn sie fragt mich eigentlich jedes Mal nach Clara und Dennis. Auch wenn sie es nie gesagt hat, ich glaube sie würde sich sehr freuen, sie einmal in echt kennen zu lernen. Als hätte ich nicht schon genug daran zu kauen, wie ich damit umgehen soll, mit Nadja mehrere Tage unter einem Dach zu sein. Sie schlafend in meiner Nähe zu wissen, ihre Anwesenheit in der gleichen Wohnung zu spüren. Nicht nur in den Gegenständen, sondern tatsächlich da, warm und atmend – ich glaube das würde mich zerreißen.