Bei der Übergabe gestern bin ich Tina begegnet, und die fragte mich prompt, ob irgendwas mit Schwester Anita sei. „Die sieht mich neuerdings so komisch an …“ Ach du Kacke, das hat sie ja auch alles gelesen! Hat sie das vorgestern überhaupt erwähnt? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht einmal.
„Nicht, dass ich wüsste“, sagte ich beinahe wahrheitsgemäß, aber sie sah mir an, dass es nur die halbe Wahrheit war. „Das erzähle ich dir ein andermal.“
„Und was hat es mit dem Einkaufsbeutel auf sich, den du unter deinem Kasack trägst?“
„Woher … damit ich nachher nicht vergesse noch einkaufen zu gehen. Ist die letzte Nachtschicht.“
„Es sieht aber so aus, als ob …“
„Du, ich muss jetzt los. Wir sehen uns dann nächste Woche!“, und weg war ich.
Dann begann die Schicht und ich bin Schwester Anita wie nicht anders zu vermuten war aus dem Weg gegangen. Also mehr ich ihr als andersherum. Bei jedem Gesprächsansatz winkte ich nur ab und ging in die andere Richtung, selbst wenn da gerade keine Tür war.
„Ich wollte ja erst nichts sagen …“, begann sie irgendwann wieder. „Und ich wünscht, du hättest es so gemacht“, würgte ich ihr Versöhnungsangebot ab.
Ein dutzend Infusionswechsel und eine Umlagerung einschließlich Abreibung mit Franzbranntwein später ging es wieder los.
„Warum eigentlich Semmel? Weil, die erwähnst du nirgendwo, aber hast den Namen auf die Unterseite des Tablets geschrieben.“
„Nicht dass dich das etwas anginge, aber wegen der PIN, um …“ „Ich weiß schon“, sagte sie entschuldigend. „Aber wieso denkst du bei 8159 an Brötchen?“
„Semmeln, nicht Brötchen. Das ist die Telefonnummer vom besten Bäcker in Vilshofen.“
„Die kannst du nach 30 Jahren noch immer auswendig?“
„Sind wirklich gute Semmeln. Die vergisst man nie. Und inzwischen sind es 31 Jahre. So lange wartest du bitte, bis du mich das nächste Mal ansprichst.“ Mit den Worten wanderte ich in die Teeküche und setzte mich dort hin. Auf einmal stand Schwester Anita in der Tür und versperrte mir damit den einzigen Ausgang.
„Jetzt sei doch nicht albern“, begann sie. „Warum schleppst du das Tablet die ganze Zeit demonstrativ mit dir herum, wenn du überhaupt nichts mehr aufschreibst?“
„Das entscheide immer noch ich, wann und was ich aufschreibe! Oder ob überhaupt. Das geht dich nichts an.“ Ich schielte zu den dunklen Fenstern hinter mir. Zweiter Stock. Und nicht mal ein Busch drunter.