01. Oktober 2019

Keinen Bock einkaufen zu gehen. Der Kühlschrank ist leer, und ich lass ihn jetzt abtauen. Alle herausnehmbaren Teile wollte ich dann direkt in der Badewanne einweichen, aber als ich mit der Gemüseschublade und den Glaseinlagen davor stand, zögerte ich. Ehe ich das mache, sollte ich besser mal die Badewanne schrubben. Jetzt steht alles davor, und ich sitze mit knurrendem Magen am Tablet. Den Ständer dafür habe ich in der Klinik vergessen, oder er ist unauffindbar in eine Falte in meinem Rucksack gerutscht, also habe ich es eben mit Büchern in Schräglage eingeklemmt. Das untere Buch ist zu dick, deswegen muss ich jetzt dauernd Leerzeilen einfügen, damit der Text höher rutscht, und dann mit dem Cursor zurück nach oben laufen, wo ich war. Weil ich das regelmäßig vergesse, schreiben ich immer erst unsichtbar hinter dem Buch weiter, bis ich wütend ein paar Mal auf das Keyboard und die Eingabe-Taste haue, und dann Erhellendes wie „grglfckd“ für die Nachwelt festgehalten habe.

Wenn Tage so anfangen, dann verlässt man besser nicht mehr das Haus. Da zieht man die Scheiße förmlich an, und ein Unfall jagt den nächsten. Sollen doch die anderen draußen den Laden schmeißen, ich bleib heut daheim. Aus Sicherheitsgründen. Mama würde es Intuition nennen.

Wie das Flüchtlingslager ausgerechnet in Vilshofen landen konnte, ist mir rückwirkend betrachtet ein Rätsel. Allerdings nur ein kleines, denn da griffen die richtigen, erfahrenen Rädchen gut geölt ineinander: Das Rote Kreuz kann seine Zelte schließlich überall auf der Welt aufschlagen, also warum nicht auch bei uns? Darüber hinaus zur Abwechslung mal eine funktionierende Infrastruktur aus Wasser, Strom und Verkehrswegen vorzufinden, war für Uwe sicher eine gern gesehene Erleichterung auf der Haben-Seite. Aber wie jeder Einsatz stellte auch dieser bald unvorhergesehene Anforderungen, auf die es spontan zu reagieren galt. Auch deshalb, weil es in seinem Umfang der größte Einsatz seit dem Ende des zweiten Weltkriegs war. Das stellte für ihn allerdings nicht ansatzweise die härteste Nuss dar. Im Falle von Vilshofen waren das die Reporter. Wären da nicht auch die glücklichen Gesichter gewesen, ich glaube Uwe hätte sich manchmal lieber in eine sehr viel entlegenere Krisenregion gewünscht, als Niederbayern.

Des Weiteren ergriffen die richtigen Leute aus der zweiten Reihe die politische Initiative. Denen blieb gar nichts anderes übrig, denn ihre Vorgesetzten waren im Urlaub. So schlug die „Stunde der Stellvertreter“, wie es in den Regionalzeitungen hieß, und ein knappes Jahr vor anstehenden Kommunalwahlen sicherlich nicht die schlechteste Gelegenheit sich zu profilieren. Der Gschwendtner ist dann ja tatsächlich erster Bürgermeister geworden, aber anders als Daniel glaube ich nicht, dass er das aus Berechnung getan hat. Es war ja trotzdem richtig, und als die Flüchtlinge dann kamen, haben sie genauso sein Herz erobert, wie unsere und sogar das vom Ministerpräsident. Das nahm einen mit, das blieb bei einem, dieses Bild, dieses Gefühl das Richtige getan zu haben. Nichts macht glücklicher, und wir erinnern uns doch alle seitdem mit den wärmsten Empfindungen daran zurück. Wir versuchen bis heute zu verstehen, was das war, warum es da und dort so viel offensichtlicher und leichter war, das Richtige zu tun. Ich weiß nicht, ob Gschwendtner Angebote hatte, in die Landespolitik zu wechseln, das Zeug dazu hatte er allemal, aber er blieb bis zu seiner Pensionierung Vilshofen treu, wo er laut Lukas bis heute ist, und einer der wenigen, die ihn immer noch erkennen und von Herzen grüßen.
„Wahrscheinlich hast du Recht”, seufzte Daniel. “Aber wahrscheinlich nimmst du ihn nur in Schutz, weil ihr Namensvettern seid.“
“Sehr witzig, du falscher Prophet, du”, stichelte ich.
“Depperter Apostel”, spuckte Daniel grinsend zurück.
So hatte uns der Geistler immer genannt, seine depperten Apostel:
Daniel, Lukas, Markus und Johann(es). Auch wenn wir jetzt einer weniger waren, ließen wir uns bei ihm öfter blicken, als jemals in der Kirche.

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