01.01.20

Olga hat mir die Mütze vom Kopf gezogen und schnappte nach Luft. „Heilige Sch…“ Dann zog sie mich mit ihrer freien Hand tiefer hinein in die Wohnung und das Gemenge. „Aus dem Weg, das ist ein Notfall!“ Einen Augenblick später stand ich umringt von Partygästen im Wohnzimmer, die mein Haarmassaker lachend bis schockiert bestaunten.
„Bringt einen Stuhl und ein Handtuch in die Küche“, rief eine sehr tiefe Stimme. Sie war so tief, dass ich nicht einmal gleich sagen konnte, woher sie kam. „Das rücke ich wieder gerade.“ Dann trat ein durchtrainierter Mann in hautenger Lederhose und etliche Nummern zu kleinem Feinripp-Unterhemd vor mich, dessen muskelbepackten Oberarme dick wie Schwimmreifen waren. Ich schluckte. „Zeig mal“, sagte er zu Olga, die ihm die Schere reichte. In seinen Pranken sah sie aus wie ein Spielzeug. Er exte seinen Drink und warf jemanden das leere Glas zu, murmelte irgendwas von Krone und „damit könne man arbeiten“. Dann griff er sich mit der anderen Hand in seine Gesäßtasche und zauberte einen Kamm hervor. Ich sah mich hilfesuchend um, ob ich Manfred, Vuko, oder beide irgendwo ausfindig machen könnte, aber dann fiel mir ein, dass ich nicht mal wusste, wie der aussah. „Na dann wollen wir mal“, brummte die noch einmal tiefer gelegte Stimme. Eine kleine Traube aus Menschen schob mich und den Ledermensch in die Küche, während hinter uns im Wohnzimmer die Musik da weiterspielte, wo sie eben unterbrochen worden war. Jemand fragte mich beim herausgehen lachend nach einem Musikwunsch, also drehte ich ihm meinen Oberkörper zu, damit er mein Rush-Shirt sehen konnte, und ehe ich etwas dazu sagen konnte waren wir schon raus.
In der Küche wurde der Tisch zur Seite geschoben, der bestellte Stuhl in die Mitte platziert und ich darauf drapiert. Olga legte mir ein Handtuch um den Hals und ich suchte nach Worten, oder besser einer Ausrede, wie ich aus dieser Situation wieder heraus kam. Außer „Hilfe“ fiel mir nichts ein, und mein Mund war so trocken, dass ich nicht mal das über die Lippen brachte.
„Trink das“, sagte der Hüne und drückte mir ein leeres Glas in die Hand, dann schüttete jemand auf sein Kopfnicken hin Eiswürfel hinein. Währenddessen nahm er einen kräftigen Schluck aus einer Wodka Gorbatschow Flasche, aus der er anschließend mein Glas füllte.
„Könnte da ein bisschen Platz für Tonic bleiben? Oh, nicht? Dann vielleicht beim nächsten. Was ich Sie fragen wollte –“
„Für dich immer noch Herr Diodato. Bis ich mit dir fertig bin. Dann kannst du Thomas zu mir sagen.“ Er gab mir die Hand, dass mir die Knöchel aneinanderklackten wie bei einem Kugelpendel.
„Aaah, danke Tho…, äh Herr Dio…dato, ich wollte keine Umstände machen und sie vom feiern abhalten, weil …“
„Junge, du hast ein Ottifantenfriedhof auf dem Kopf. Willst du so das neue Jahr beginnen? Als Witzfigur? Und gehst so unter Leute?“ Er wandte sich mit fragendem Blick an die Umstehenden in der Küche, von denen einige den Kopf schüttelten.
„Nein, nein, es ist nur …“
Diodato ging vor mir in die Knie und ich verstummte. Sein Gesicht war jetzt direkt vor meinem. Der Alkohol in seinem Atem ließ meine Augen glasig werden. „Ich versteh dich. Ich bin hier um zu helfen.“
Ich nickte.

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