„Du glaubst nicht, dass sie über die Zeit damals schreiben könnte?“
„Das würde mich überraschen. Wer ernsthaft darüber schreiben wollte, hat bereits damals damit begonnen“, stellte sie nüchtern fest.
„Kästner nicht so direkt, aber er hat das vielleicht treffendste Bild formuliert, mit den Schneebällen, die es zu zertreten gelte, bevor sie zur Lawine werden“, hielt ich dagegen.
„Ach, die sind inzwischen zu einem Gletscher geschmolzen, der sich durch unser Land wälzt und die Konservativen vor sich her schiebt.“ „Mama!“, rief ich beeindruckt. „Das ist brillant!“
„Ist doch wahr“, sagte sie. „Schwadronieren immer noch was von ‚wehret den Anfängen‘, während der Zug mit den Nazis längst abgefahren ist. Leerer Bahnsteig, also alles dufte hier. So lange die Nazis nur woanders marschieren, prügeln und morden, ist alles gut.
Das geht nicht in die Köpfe der Mitte rein, so lange die Springerstiefel nicht die Sicht auf den eigenen Fernseher verstellen, und dann ist es eh zu spät.“
„Dazu passt auch die immer gleiche Leier, es sei ja nicht alles schlecht gewesen“, führte ich ihren Gedanken fort. „Hitler war Tierlieb, Vegetarier und sogar Nichtraucher.“
„Sag’s doch, wie es ist: linksgrün, wie er im Buche steht.“
„Mein Kampfer?“, fragte ich. „Nur seine Bazillenphobie passt nicht ins Bild, die Furch vor Krankheiten, weshalb er ständig Antibiotika schluckte.“
„Was du so alles weißt“, sagte Mama.
„Ich glaube halt, dass sich niemand für ein Monster hält. Schon gar nicht die Monster selber. Wir sehen nur Missverständnisse, fühlen uns von Arschlöchern umgeben, und sind doch selber der blinde Fleck, das Riesenarschloch in der Mitte. Deswegen waren die Vernichtungslager aber noch lange kein Ausrutscher, dem man ihm durchgehen lassen kann.“
„Ach übrigens“, unterbrach Mutter meinen Gedankengang, „ich überlege den Omas gegen Rechts beizutreten, wenn du nichts dagegen hast.“
„Wieso sollte ich?“, fragte ich naiv. „Ich wusste gar nicht, dass die eine Untergruppe in Aachen haben.“ Mutter ging aber gar nicht weiter darauf ein. „Machst du dann eigentlich auch einen Motorradführerschein?“
„Was?“, fragte sie verdattert. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“