19.02.20

Heute früh hat mich auf dem Weg nach unten Olga im Treppenhaus überholt, die immer gleich mehrere Stufen auf einmal nahm. Sie hat mich gar nicht registriert. Müde sah sie aus, und eilig hatte sie es auch. Ich habe kurz überlegt, ob ich versuchen sollte sie einzuholen, indem ich das Geländer hinunter rutsche, aber wahrscheinlich hätte ich mir beim Versuch die Knochen gebrochen.
Bei näherem Nachdenken zählte ich überhaupt erst einmal 1 und 1 zusammen. Wenn Olga hier übernachtet hatte, hieß das nicht, dass sie mit Manfred zusammen war? Also war sie doch sowieso vergeben. Außerdem flirtete ich doch gerade mit meiner Polin. Was will ich eigentlich, verdammt nochmal?

Es ist unfassbar! Ich habe nur in der Stationsküche ein Gespräch mitgehört und so erfahren, dass mir längst jemand voraus ist und die Adresse von Anton Rothe herausgefunden hat; die wo er arbeitet und seine Privatanschrift. Und wer hat’s rausgefunden? Schwester Anita. Natürlich! Wer sonst? Ist die auf den Geschmack gekommen anderen nachzuspionieren, oder was? Arbeitet sie überhaupt als Kinderkrankenschwester, oder ist das nur eine Tarnung? Für welchen Geheimdienst ist sie tätig? Oder ist sie eine Privatdetektivin, die auf mich angesetzt worden ist, und zwar von Anton Rothe? So herum betrachtet ergibt alles sogar mehr Sinn. Ob sie ihm umgekehrt vielleicht sogar Informationen über den Verbleib seiner Tochter andreht?
Mutter hat angerufen und mich gefragt, ob ich im Altersheim bei Herrn Fichter gewesen wäre. Ach richtig, ja. Ich erzählte ihr, dass er wohl eine neue Erinnerung ausgegraben hätte.
„Das habe ich auch schon alles gehört“, sagte sie mit einem Seufzer. „Wird aber immer seltener.“
„Womit ich gar nicht klar komme ist, wie ungeniert und selbstverständlich diese Generation in Gesprächen über Juden herzieht, als sei nichts dabei.“
„Ist es für sie auch nicht. Der Antisemitismus war auch schon vor den Nazis da und hat sie leider überdauert.“
„Bei uns nicht.“
„Da kannst du einmal sehen, dass du eben doch was in der Schule gelernt hast“, sagte Mama aufmunternd.
„Na ja, vielleicht sind uns mit dem Mauerfall nur unsere Feindbilder abhanden gekommen. Seitdem können wir uns bestenfalls welche einbilden.“
„Klingt auch gefährlich, wenn du mich fragst“, meinte sie. „Aber vielleicht heitert dich das auf: Frau Jaschke hat wohl deinetwegen angefangen zu schreiben. Hast du ihr was erzählt?“
„Kann sein, dass ich was in der Art erwähnt habe“, sagte ich. „Und was schreibt sie?“
„Wer weiß. Vom Winde verweht wenn wir Glück haben.“
„Und wenn wir Pech haben?“
„Dann nur wieder und wieder den gleichen Satz, wie in The Shining“, sagte Mutter trocken.

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