“Kenn ich nicht. Was’n das für ein Dienstgrad?”
Herrgott, was stand noch in den Unterlagen von Opa? Böck oder Bock? „Äh, General Berentz…en?“
„Hans Boeckh-Behrens, Generalleutnant! Selber verwundet gewesen und doch immer wieder gekommen.“
„Ja, ja. Der.“ Als ich die Sprache meines Großvaters sprach, die mir nichts sagte, oder auch nur so tat, verstand er mich plötzlich. Oder etwas. Die rostigen Worte hatten langsam eine Tür geöffnet: Sesam, öffne dich.
„Kirchensittenbach.“
„Ich versteh nicht…“
„Mit dem bin ich unterwegs gewesen, mit dem von Kirchensittenbach. Wir haben euch da rausgehauen, aus dem gottverdammten Kessel. War schon auf dem Balkan und in Frankreich mit ihm gewesen. Guter Mann. Der Philipp, sein Nachfolger auch, und …“ Es sprudelte nur so aus ihm heraus und Leben kam in und an die Knochen, aber nur heiße Luft, kein Fleisch. Warum fragen sie nie jemanden „wo hast du Widerstand geleistet“, sondern nur danach, wo man konform war, ein Rad im System? Ganz so, als wäre schon die Frage nach Sand im Getriebe unerhört. Und war sie ja auch.
„Nicht schlecht“, flüsterte plötzlich Mutter hinter mir, und dann lauter: „Herr Fichter? Ich muss ihnen den jungen Mann jetzt entführen. Er hat einen dringenden Botengang zu erledigen.“
„Ja, ja“, nickte er, ohne dass er größer Notiz davon nahm, als ich aufstand. „Wir halten die Stellung, an uns kommt keiner vorbei …“
An uns kommt keiner vorbei. Da ist allerdings was dran, verdammt noch mal. Wenig später saßen wir beim Griechen, und ich schob den Feta-Käse meines Salats auf dem Teller zu einem kleinen Berg zusammen. „Ist der immer so?“
„Wer, der Fichter?“, fragte Mutter. „Eigentlich sitzt der nur in dem Sessel und hält still Wache.“
„Festgefroren in der Zeit, an der Ostfront, könnte man meinen.“
„Ich glaube, die kommen aus ihrer Zeit nicht los und leben noch immer da, wo es sie traumatisiert hat.“
„Oder da, wo man noch Kind war“, ergänzte ich. „Wenn man Glück hat.“
„Fällt ja in vielen Fällen zusammen, oder?“ Mutter tippte abwesend mit der Hand einen Beat auf den Tisch. „Jetzt schieß schon los, was gibt’s?“
„Nichts.“
„Du schneidest dir die Haare ab, dass ich vorhin beinahe einen Herzinfarkt bekommen habe, als du die Mütze runter genommen hast, und es soll nichts los sein?“
„Ich …“, stotterte ich. „Ich muss dir etwas sagen. Oder fragen, je nachdem … Hat Opa eigentlich mal was davon erzählt, was er im Krieg getan hat? Wo er war?“
„Nein.“ Mama schüttelte den Kopf. „Nur was du schon weißt: Ostfront, Kriegsgefangenschaft.“
„Wolltest du denn nicht wissen, was er im Krieg getan hat?“
„Doch, schon. Ich hab auch ein paarmal nachgehakt, aber er blieb immer einsilbig.“ Mama überlegte. „Manchmal flüchtete er sich auch in Pausschalantworten, wenn er sich davon unter Druck gesetzt fühlte. Sowas wie: ‚Ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr es habt.‘ Aber als Ausrede, um nichts mehr sagen zu müssen.“