10.01.20

Ich schwieg, aber da kam nichts mehr nach und Mama seufzte. „Jetzt schieß schon los, hast du nach deinem Vater jetzt auch noch vor Opa auszugraben?“
Das brachte mich zum Lachen und auch Mutter wurde gelassener. Dann beugte ich mich vor. „Genau das habe ich getan. Oder andere für uns tun lassen. Ich hab eigentlich ans Rote Kreuz schreiben wollen, um nachzuforschen, aber dann landete ich stattdessen auf einer Seite im Internet, wo man das gleich online beantragen konnte. Das habe ich ausgefüllt und dann total vergessen. Vor zwei Jahren war das. Na ja, und vor ein paar Tagen kam dann ein Brief in dem stand wo er überall war. Seine Feldpostnummer, Einheiten, Verwundungen, alle Eckdaten.“
„Wieso hast du mich nicht erst gefragt?“
„Weil du es dann vielleicht nicht gemacht hättest!“
Mutter wollte schon widersprechen, nickte dann aber nur.
„Ich war auch erst enttäuscht, weil nach zwei Jahren habe ich einfach mehr erwartet, als die paar Sätze. Wobei, nicht einmal das. Stichpunkte. Und dann habe ich das Internet damit gefüttert.“
„Was hast du heraus gefunden?“
„Nicht viel, aber das hat mir ehrlich gesagt schon gereicht.“
„Nun sag schon.“ Mutter verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich hab bis jetzt nur einen der Punkte näher untersucht, Demjansk. Dort war er eingekesselt. Nicht so wie in Stalingrad, weil die wurden noch über eine Luftbrücke versorgt.“
„Wie in West-Berlin die Rosinenbomber?“
„Eher gar keine Rosinen, zu Gunsten von Munition. Die Nahrung mussten sie sich schon selbst aufstocken. Von denen, die selbst nicht genug zu Essen hatten. Dann erfolgte ein Gegenangriff und sie mussten diesen Ort halten, weil der angeblich strategisch wichtig war, für später? Ich versteh diesen Militär-Jargon nicht. Jedenfalls brannten sie dann Häuser und Höfe nieder, die im Weg standen, oder wo sich Russen hätten verschanzen können, und vertrieben oder ermordeten die Leute, die dort gelebt haben. Ob die Erschießungskommandos schon nachgerückt und mit ihnen eingeschlossen wurden, weiß ich nicht. Noch nicht. Die Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung wurde auch so in den Tod getrieben, durch Hunger, Kälte, Zwangsarbeit und ich will es gar nicht so genau wissen.“
Mutter hatte Tränen in den Augen.
„Der Kessel wurde zwar befreit, aber dann trotzdem ein Jahr lang nicht geräumt. Und hinterher haben die Sowjets die eigenen Opferzahlen nach unten korrigiert, damit die den Sieg nicht überschatten. Schuld waren im Zweifel die Überlebenden, weil die dann ja irgendwie mit dem Feind kollaboriert haben mussten. Dieser Mist nimmt einfach nie ein Ende.“
„Wirst du dir die anderen Stationen auch noch vornehmen?“

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