27.05.20

Dafür sprach auch, dass niemand je zurückkam, um uns zu befreien. Schlimmstenfalls erzählten sie uns im Unterricht gleich vom nächsten Gefängnis, der Universität, wo alles noch schlimmer wurde. Da waren sie also endgültig zu einen von denen geworden, diesen Erwachsenen. Es gab kein wohin, weder für uns, noch für die Rakete. Wir würden ebenso niemals abheben. Vielleicht stammten die Höhlenmalereien auch nie von prähistorischen Menschen, unseren Vorfahren, sondern in Wahrheit von begabten Tieren, die einander porträtierten, und andere Arten vor den gefährlichen Fünffingern warnten? Oder sie stammten von Außerirdischen, die von sich ablenken wollten, deren Raumschiff auf der Erde abgestürzt war, und die hier festsaßen, wie wir in der Schule? Derlei Gedanken gingen uns durch den Kopf. In jeder Pause. Vor jedem dieser Bilder standen Kinder, verschiedensten Alters. Die meisten schenkten ihnen keinerlei Beachtung, lachten darüber, gingen weiter, aber in jedem Jahrgang war jemand, der länger blieb, meistens Mädchen, während ihre Freundinnen lachend weiter zogen. Wir konnten uns daran nicht satt sehen, ohne zu verstehen, warum. Mit den Jahren erkannte man in den anderen sein früheres Selbst, deren Interesse noch diesem oder jenem Detail galt, so wie man selbst einmal auf diese Bilder geguckt hat, aber mit den Jahren hatten sie für einen selbst an Tiefe gewonnen, eine, die man nicht hat kommen sehen, und die einen nun verschluckte.
Was würde ich darum geben, diese Bilder noch einmal zu sehen, mit den Augen von heute. Alles, was ich über Kunst weiß, habe ich nicht aus dem Unterricht, sondern durch die Beschäftigung mit diesen verdammten Wandbildern gezogen. Was bleibt einem auch anderes übrig, wenn man neun Jahre lang jeden Tag davor steht? Eine Viertelstunde, immer zur gleichen Zeit, ob man will oder nicht. So entsteht ein Ritual, ein Mantra, eine Meditation. Es ist fast egal welches Bild man sich dazu auswählt. Oder Buch. Wenn man sich lang genug damit beschäftigt, wird jedes Buch zu deiner Bibel, oder ein Bild zu deinem Seelenspiegel. Die Schulleitung hat es vielleicht nicht geahnt, aber sie haben uns damit mehr Lehrmaterial mit auf den Weg gegeben, als ihnen bewusst war. Vielleicht kann Lukas ja mal für mich nachsehen gehen.

Schon wieder so gerädert. Das ist einfach zu wenig Schlaf. Auf einer Runde mit Mutter gähnte ich wie ein Löwe, während sie mich nach Walentyna löcherte. Das Lukas Vater geworden war, schien sie im Augenblick nicht zu interessieren, was mir ehrlich gesagt ein bisschen ärgerte. Als wittere sie eine Chance auf ein Enkelkind.
„Magst du mich ihr nicht endlich vorstellen?“
„Wenn es so weit ist, dann ganz bestimmt“, log ich. „Vielleicht mag sie mich ja gar nicht.“
„Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber …“ Mutter brach ab. „Na spuck’s schon aus. Jetzt ist es eh schon egal.“
„Du erinnerst mich in deinem neuen Ernst an meinen Vater.“
„Na großartig.“
„Diese Überforderung mit starken Frauen, als hättest du es direkt von ihm geerbt. Nicht so schlimm wie bei ihm, weiß Gott nicht, aber irgendetwas sagt mir, dass mir das bekannt vorkommt.“
„Immerhin nicht von Papa“, sagte ich sarkastisch.

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