27.05.20

Hab nochmal versucht mich hinzulegen, was nur bedingt geklappt hat. Da waren wieder Bilder vom Trabi, Lukas mit einem Astronautenhelm, Farbe tropfte mir vom Arm auf den großen Pausenhof. Da war der überdachte Bereich vom A-Bau zur alten Turnhalle, und da war doch links der Pausenverkauf, vor dem sich immer lange Schlangen bildeten, für Brezen, Wurstsemmeln (natürlich mit „Leberkas“ und zwei Scheiben Essiggurke) dazu Milch oder Kakao aus Kartons. Da stand man und guckte … die Wandgemälde an.
Ach du dickes Ei, die hatte ich total vergessen! Die Rückseite bildeten gleichgroße Betonelemente mit Luft dazwischen. Jede einzelne war von einer Kunsterziehungsklasse eines Jahrgangs bemalt worden und hatte ein eigenes Motto. Leider waren schon alle bemalt, und somit war von Anfang an klar, dass es da keinen Raum mehr für uns gab, wo wir uns hätten verewigen können.
Die Bilder hatten etwas primitives, wie Höhlenmalereien, sprachen aus einer für uns ebenso fernen Vergangenheit zu uns, oder eben nicht. Sie waren groß, geradezu riesig für Kinder, deren Phantasie bisher höchstens auf DIN A3 stattgefunden hatte. Hier hätte ein ganzer Block aneinandergelegt nicht gereicht, um diese Fläche zu erreichen. Heute würde ich es in Quadratmetern bemessen, hier war es noch schlicht eine ganze Wand, die gesprengt wurde.

Das Bild, das mich am meisten ansprach, war die im Start befindliche Rakete. An die anderen Bilder kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Das mit der Rakete war meins. Jedes Jahr zog es mich wieder dorthin, und die Enttäuschung wuchs, auch wenn mir nicht klar war, worin sie bestand. Das kühle Weiß der Rakete, die in meinen ersten Jahren dort größer war, als ich selbst, es zog mich unwiderstehlich an. Dabei blieb kein Detail unentdeckt, ich hätte es damals nachzeichnen können – warum ist es jetzt wie ausgelöscht? War darin nicht kodiert ein Hilfeschrei der Schüler vor uns versteckt? Eine Warnung? Denn mit Sicherheit wollten die damals schon das Gleiche, wie wir: nichts wie von dort weg. Ich meine, hätten sie sonst ausgerechnet eine Rakete gemalt? Eine, die nie abhob, deren Countdown vielleicht irgendwo lief, aber so unendlich langsam, dass sie im nächsten Jahr noch immer dort stand. Ich glaube daher rührte meine Enttäuschung. Wenn sie doch einen dieser Sommer abgehoben wäre … warum verzögerte sich ihr Start denn immer noch?
Ich glaube ich hoffte darauf, dass ich eines Tages zur Schule kommen, und den Startplatz verwüstet vorfinden würde, die Rakete weg, gestartet, unterwegs zu den Sternen. Stattdessen stand sie da, und dampfte nutzlos vor sich hin. Das Versprechen auf einen Start, der nie kam. Ein festgeschriebener Fluchtgedanke, ohne Erlösung. Was dann in der Kollegstufe den Verdacht nährte, dass diese Malerei gar nicht von ehemaligen Schülern stammte, sondern nur den Eindruck erwecken sollte, dass es einst welche gegeben hatte, denen die Flucht aus diesem niederbayrischen Alcatraz gelungen war. Genauso gut könnten ihre Leichen unter dem Platz begraben liegen, wo wir das Kugelstoßen lernten und die Erde weiter verdichteten.

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