26.07.20

„Unser rationales Denken hebelt sich gerne selber aus. Schau dir die Querdenker und Maßnahmenbefürworter an. Beide Gruppen sind sich unter Garantie in einer Sache einig: Dass sie natürlich ihre Meinung ändern würden, wenn ihnen auch nur ein Argument zu Ohren käme, das ihre bisherige eindeutig widerlegt.“
„Ja.“
„Das Problem ist aber, wie die diese ursprüngliche Meinung zustande kam. Es gibt eine Reihe von Experimenten, die belegen, dass man Dinge, die man fälschlicherweise als richtig gelernt hat, zwar widerlegen kann, so dass die Leute dem selbst zustimmen; dann begehen sie aber den gleichen Fehler danach in anderen Zusammenhängen wieder – und das ist das Fatale daran.“
„Wie ist das denn möglich?“
„Wir lernen tiefer, als unser Bewusstsein reicht, wir alle zusammen, davor ist niemand gefeit. Die ersten Fehler reichen da sehr, sehr weit in unsere Kindheit zurück. Im Endergebnis wähnt sich dann jeder auf der richtigen Seite.“
„Ah, ‚confirmation bias‘ und so was?“
„Unter anderem, ja.“ Heßler seufzte. „Manchen Unfug in uns werden wir nie wieder los.“
„Draußen auch nicht“, meinte ich. „Die Deppen bleiben ja leider nicht mehr zu Hause.“
„Sieht man ja an uns“, sagte er. „Können wir bitte wieder zurück gehen? So viel Sonne auf einmal vertrage ich nicht.“
„Du hast da übrigens noch Spinat von deinem griechischen Omelett zwischen den Zähnen“, stellte ich fest.

Auf dem Rückweg zu seiner Wohnung erzählte ich ihm noch von Mario, der uns erklärt hatte, dass man den Algorithmus hacken muss, er dürfe nicht für alle User gleich sein, sondern müsse individueller werden, und selbstständig von jedem Internetnutzer kontrolliert und angepasst werden, wie ein sich verändernder, vollverschlüsselter Ausweis.
Er sah mich nur an und nickte.
„Ja und? Was hältst du davon?“
Heßler lächelte müde. „Ich hab davon nicht einmal die Hälfte verstanden, Johann. Das Internet ist nicht mein Medium, nicht mein Stand der Technik. Du kennst meine Schreibmaschine. Ich tippe auf Papier, höre Vinyl-Platten. Was hast du daran noch nicht verstanden?“

© Jens Prausnitz 2023

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