Er schüttelte den Kopf. „Die DDR ist ohne ihren gemeinsamen Gegner in Kleingruppen zerfallen. Wir haben versucht sie zu warnen, dass man der BRD nicht trauen konnte, dass man sie an einen Verhandlungstisch hätte bringen müssen, in der es nicht um Bananen, sondern um Kitas ging, um Mitsprache, Emanzipation und einer Idee von einem zukünftigen Deutschland, anstatt über den Tisch gezogen zu werden“, dozierte Heßler. „Ein Bild einer gemeinsamen Zukunft, das allein nur anzustreben schon inspiriert hätte, so ähnlich wie es die Verfasser:innen des Grundgesetzes einmal getan haben. Sich ein Deutschland in Europa auszudenken, von dem man immer mindestens eine Generation entfernt war, aber vorstellen, beschreiben und verbessern konnte man es sich schon heute.“
„Stattdessen treten wir seit 30 Jahre auf der Stelle“, fasste ich zusammen. „Jetzt sind immerhin wir dabei eine Familie zu werden.“
„Der Arbeitsteilungsgedanke der Kinder ist außergewöhnlich gut, macht sie aber gleichzeitig nach der Devise ‚teile und herrsche‘ maximal angreifbar. Leider ist das eine ohne das andere nicht zu haben, oder eben nur in seiner Umkehr als Faschismus. Das Kernproblem der Linken ist ihre Themenvielfalt, über die sich ständig in die Wolle kriegen und dann noch weiter ausdifferenzieren, ehe auch nur irgendwas erreicht worden wäre.“
Wir bestellten uns noch etwas zu trinken. Ich tat es ihm allerdings gleich und stieg auf Kaffee um, bevor mir das Bier in der Sonne die Birne weich machte. Pinkeln zu gehen war auch gut fürs Denken.
„Mit Schwester Heide habe ich eine schlimme Diskussion gehabt, bin dabei aber über einen interessanten Gedanken gestolpert: Will man dass die nächste Generation die gleichen Schmerzen durchleiden muss, wie man selbst, oder will man alles dafür tun, sie davor zu bewahren?“
„Du meinst ob man sein Wissen teilt, oder für sich behält, um es zu Geld zu machen?“ Heßler nickte anerkennend. „Das erinnert mich an ein Bild, dass man auf den Schultern des Lehrers stünde, wenn man selbst zum Lehrer geworden sei. Wo habe ich das denn noch gelesen?“
„Lehrer? Ich bin doch kein Lehrer!“, protestierte ich.
„Wie würdest du es denn nennen, wenn man anderen beibringt die eigenen Fehler nicht zu wiederholen?“
„Na … äh, Moment …“ Ich dachte nach. „Zur Vernunft kommen.“
Heßler lachte. „Das ist schön, gilt aber nicht. Auf Englisch heißt es ‚I come to believe.‘“
„Das ist doch dann deren Problem“, entgegnete ich eingeschnappt.