23.07.20

„Das gefällt mir. Würdest du mir auch etwas vorlesen?“
„Spinnst du? Ne, auf keinen Fall.“ „Aber wenn du willst, dann sag ich dir Bescheid, wenn ich das nächste Mal im Altenheim lese. Du könntest mich ablösen.“
„Ich? Ich bin ein fürchterlicher Vorleser.“
„Ach ja?“ Sie warf mir The Handmaid’s Tale zu. „Beweis es.“
„Das ist ja auf Englisch!“, protestierte ich.
„Was du nicht sagst. Dann kannst du dich weniger darauf konzentrieren, wie du wirkst, sondern musst in die Sprache eintauchen.“
Nachdem ich mich eine Weile dagegen sträubte, begann ich widerwillig damit vorzulesen, ohne mich von Zwischenrufen („Lauter!“ / „Ich darf es ja gar nicht selber lesen!“) aus dem Konzept bringen zu lassen. Walentyna feuerte mich an, und nach einer Weile vergaß ich, wo ich war, und der halbe Nachmittag verging wie im Flug.

In der Abendsonne gingen wir draußen spazieren.
„Weißt du, woran ich gerade denken musste? Dass wir doch auch immer den Ort mitlernen, an dem wir etwas lernen. Das kann das Internet nicht leisten. Ein Buch hat seinen Platz im Regal, unsere Computer-Desktops sind noch übersichtlicher, als unsere echten Schreibtische.“
„Das mag für dich gelten“, warf Walentyna ein.
„Ja, gut. Ich mein, worauf ich raus will ist, dass virtuelle Welten das zwar abbilden können, nur gar nicht so genutzt werden.“
„Was meinst du?“
„Mein Paten … Sohn … also der spielt gerne Open World Spiele auf seiner Konsole, und er weiß immer was wo war, in einem riesigen Gelände.“
„Ah, und dort würdest du jetzt gerne Informationen ablegen?“
„Ja“, sagte ich. „Genau. Weil Schulen können das nicht leisten. Die sind einfach zu klein, ein Klassenzimmer ist wie das andere. Aber wenn sich … die Schüler … und Schülerinnen ihr eigenes Gelände bauen dürften, wo sie sich wohl fühlen, das sie niemandem zeigen müssen, dann …“
Walentyna nickte. „Okay, da bist du wirklich einer heißen Sache auf der Spur. Und umgekehrt erklärt es, weshalb die Alten im Altenheim sich an immer weniger erinnern können, weil ihnen ihre vertraute Umgebung fehlt. Die suchen sie dann und irren in den Häusern umher.“
„Ich glaube du wirst dich blendend mit meiner Mutter verstehen.“

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.