23.05.20

„Danke, aber ich kann immer noch mit geschlossenen Augen eine Zigarette drehen, und wahrscheinlich auch in zwanzig Jahren noch, verstehst du? Jedesmal, wenn ich einen Kaffee trinke, geht meine eine Hand auf die Suche nach dem Feuerzeug und die andere nach der Schachtel. Jedesmal wenn ich ein Gebäude verlasse, nach jedem Essen, nach jedem … – der Gedanke an die Kippen danach ist immer noch da, verstehst du? Wie ein Phantomschmerz. Ein antrainiertes Verhalten abzulegen ist so, als würde man ein Körperteil amputieren.“
„Du wirst dich daran gewöhnen“, tröstete mich Clara.
„Ja, vielleicht. Im Vergleich zum Kapitalismus ist es aber ein Kinderspiel mit dem Rauchen aufzuhören. Da erzählen uns zwar auch Wissenschaftler, dass das ungesund für uns ist, das ewiges Wachstum bei endlichen Ressourcen unmöglich ist, aber wir wollen es nicht hören.“
„Weil wir davon abhängig sind.“
„Genau wie Junkies, ja. Eine Sucht, die wir gar nicht als solche wahrnehmen. Shoppen wir uns glücklich. Ich meine, ich merke inzwischen, dass mir das Essen besser schmeckt, jetzt wo ich nicht mehr rauche. Aber andere Impulse bleiben, die waren mit Kippe einfach schöner, und die gibt mir nichts wieder zurück, egal ob gesund oder ungesund.“
„Ich glaube, ich fang an zu begreifen, was du meinst.“
„Sei mir nicht böse, aber ich glaube, dann hat man noch nichts begriffen. Etwas begreifen ist wie ein umgelegter Schalter, wie ein Fingerschnippen. Ein Blitz, der einschlägt, ein Funke der überspringt. Erinnerst du dich, wie oft ich schon mit dem Rauchen aufgehört habe?“
Clara rollt mit den Augen und nickt.
„Eben. Aber dieses Mal war anders. Ich wusste, dass diese Zigarette die letzte war. Oder genauer die davor. Das Gefühl hatte ich vorher nie gehabt, verstehst du? Diesmal wusste ich es. Es war vorbei. Einfach so. Die Versuchung blieb, und ist jedes Mal wieder ein Schlag ins Genick, aber der Wille war ab dem Moment stärker, zum ersten Mal. Seit dieser einen, konkreten Zigarette, die ich eben nicht mehr geraucht habe. Als hätte sich eine Weiche gestellt, als wäre ein Kanal geflutet worden, oder das Hochwasser in einen neuer Seitenarm geflossen.“
„Oder einen alten, der vorher schon da war.“
Ich lächelte. „Ich glaube, jetzt hast du es verstanden. Du hast Recht, das Nichtrauchen war vorher da gewesen, das war der natürliche Arm –“
„Und das Rauchen der Kanal“, vervollständigte Clara meinen Satz. Ich nickte.
Dann schob sich das Gesicht von Dennis ins Bild. „Du willst uns also sagen, dass wir den Kapitalismus wieder mit einbauen würden, weil wir gar nicht anders können?“
„Genau.“
„Hör auf damit den Drosten nach zu machen!“, schimpft Clara und grinst.
„An die Veränderung muss man sich selbst dann noch gewöhnen, wenn man sie sich ausgedacht hat.“
„Das geht alles so laaangsaaaam“, mault Dennis.

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