23.01.20

„Und diese eine Nacht in Darmstadt, das war doch im August?“ „Wieso … woher …“, stammelte ich. „Spionierst du mir etwa nach? Seit Jahren schon?“
„Was? Nein, ich habe nur dein Tagebuch mitgelesen. Anfangs weil ich wissen wollte, was du da über mich schreibst, aber dann hat mich alles andere irgendwie mehr reingezogen, und na ja, ich konnte irgendwie nicht mehr aufhören.“
„Irgendwie?“, schrie ich. „Wie irgendwie? Das … das …“
„Reg dich doch nicht so auf. Magst du eine Librium?“
„Ich will kein Scheiß-Beruhigungsmittel, ich will dass du mein Tagebuch nicht gelesen hast! Nie anrührst, nicht mal mit einem Stock!“ „Dafür ist es ein bisschen zu spät.“
Die hat Nerven. Ich fasse es nicht. Als sei sie nur mal eben bei Rot über die Ampel gegangen, weil gerade keiner kam. Wo sind wir denn hier?
„Ich muss dir was wichtiges sagen“, sagte Schwester Anita. „Aber du darfst dich nicht so aufregen.“
„Ich darf mich nicht so aufregen? Ich rege mich ja noch gar nicht auf! Ich fange gerade erst damit an!“
Sie schüttelte den Kopf. „Da ist was, das du wissen solltest.“
„Ach ja?“, polterte ich. „Was denn?“
„Du bist Vater. Von Zwillingen.“
Mir blieb kurz die Luft weg. Ich wollte etwas erwidern, aber dann lachte ich, stand auf und ließ sie stehen wo sie war. Dann stand ich plötzlich in der Tiefgarage und kotzte hinter ein Auto.

Als ich zurück auf Station kam haben wir uns angeschrien, bis die ersten Kinder aufgewacht sind. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so wütend gewesen bin. In dem Moment habe ich mich derart aufgeregt, dass ich die Hälfte von dem, was sie gesagt hat gar nicht begriffen hab. Ob ich mich daran erinnern könne, dass sie mich mal nach Lottozahlen gefragt hat, die sie tippen wollte. Was für Lotto, keifte ich und so weiter. Es ist mir egal, wie sie es gemacht hat, und sie scheint da sogar noch stolz drauf zu sein. Aber mir ist nicht egal, dass sie mein Tagebuch gelesen hat! Ich hab nur das von Laura Palmer gelesen, und das war ausgedacht, verdammt. Wie konnte sie sich nur dazu hinreißen lassen?
Schlimmer noch: Was ist, wenn sie recht hat? Was wenn Clara und Dennis tatsächlich meine Kinder sind?
Und was, wenn das noch nicht einmal alles ist? Was habe ich vielleicht noch alles in den letzten Wochen, Monaten und Jahren übersehen? Egal wie viel ich schreibe, das ist ja nicht einmal die Hälfe von dem, was in meinem Kopf vorgeht, geschweige denn außerhalb. Sie hat das vor meinen Augen durchgezogen, und ich hab es nicht bemerkt. Und wieso finde ich eigentlich das viel schlimmer, als dass sie mit all dem Recht haben könnte?

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.