Walentyna kam mich abholen, diesmal wollten wir bei mir spazieren gehen. Sie hatte allerdings ein Geschenk dabei, das sie nicht die ganze Zeit mit sich herumschleppen wollte, also kam sie kurz zu mir in die Wohnung, natürlich mit Maske und bei offener Balkontür.
Nachdem wir uns umständlich begrüßt hatten, und ich nach kurzer Suche meinen zweiten Schuh unter dem Sofa fand, wollte ich so schnell wie möglich los, aber dann trat sie vor mich, mit einer Hand auf dem Rücken und seufzte.
„Tut mir leid, ich wollte dir eigentlich eine Face-Hugger Maske schenken, aber die sind schwer zu bekommen, oder schlicht zu teuer für so einen billigen Gag. Darum leihe ich dir das hier.“ Sie drückte mir „Birdy“ in die Hand, das Buch.
„Vielen Dank. Eigentlich wollte ich aber gar keine Bücher mehr von Männern lesen. Oder noch nicht.“
„Was? Wie kommt’s?“
„Weil wir keine Autorinnen in der Schule gelesen haben … oder viel zu selten die Gelegenheit dazu hatten. Das wollte ich irgendwie ausgleichen, und es ist als hätte ich eine ganze Welt verpasst, darum habe ich seitdem nicht wieder aufgehört.“
„Eure Frauenfiguren wurden ja auch eher von Männern geschrieben.“
„So lesen sie sich dann auch. Effi Briest wünscht man einen Neuanfang ohne diesen Deppen, und Madame Bovary bessere Drogen.“
„Wie lange machst du das schon?“
„Seit 2016 oder so.“
Sie ging zielstrebig auf mein Regal zu, genau wie ich es befürchtet hatte.
„Hast du dein Bücherregal aufgeräumt?“
„Ich? Wieso? Nein“, schluckte ich. „Wie kommst du darauf?“
„Na ja, hier ist auf jedem Brett ist zum Beispiel viel … Luft.“
„Du meinst bessere Autoren – Innen! Autorinnen?“
„Hier sind vereinzelte Spuren im Staub, und die Bücher daneben wackeln wie lose Milchzähne.“
Mist, ich hatte vergessen wie groß sie ist, und versäumt dort Staub zu wischen. „Es macht mich nervös, wenn du da stehst. Kann ich dir nicht was zu trinken anbieten?“
„Hast du schon.“ Wie zum Beweis hielt sie ihren dampfenden Becher hoch und seufzte. „Gib’s zu, du hast Sachen aussortiert, damit ich sie nicht sehe?“
Ich nickte schuldbewusst.
Walentyna grinste kopfschüttelnd. „Das passiert mir jedes Mal. Lass mal sehen!“
„Da, hinter dem Sofa“, sagte ich und ließ mich darauf nieder.