21.05.20

Der Antwortbrief wog schwer. Also schwerer, als unsere Unterschriften. Kohl musste einen ganzen Maßnahmenkatalog zusammengestellt haben, uns danken, nach Bonn einladen – hoffentlich während der Schulzeit –, so viel hatte er uns geschrieben, und alles würde gut. Dann machten wir den Brief auf. Der war sogar getippt. Unendlich viele Buchstaben, und da! Auf der ersten Seite, Daniel’s Nachname, als Herr Speck angesprochen. Der Brief war aber gar nicht vom Kanzler persönlich, sondern ein Sekretär hatte ihn geschrieben. Wenigstens diktiert vom Chef? Streng genommen nicht einmal das, jedenfalls nicht mehr, als den Nachnamen von Daniel. Der Rest war eine Kopie eines Positionspapiers der CDU zum Thema. Außerdem waren die Unterschriften alle wieder da. Uns wurde versichert, es würde alles erdenkliche getan, nur so Recht daran glauben wollten wir nicht. Auch nicht daran, dass Helmut Kohl die Listen je zu Gesicht bekommen hätte. Oder jetzt leise „Karl der Käfer“ summen würde. Alles, was wir erreicht hatten, war ein Aktenzeichen: 012-K 50031/84
Danach schickte Daniel die Liste eben doch an die Grünen, irgendwie war er an die Adress von Otto Schily gekommen, der da noch nicht den Verstand verloren hatte. Ich glaube, die hatte er aus deren Parteibüro, dass es eine Weile in der Passauer Strasse gab, aus dem er mir auch ein Anti-Atomkraftplakat mitbrachte (ich durfte meins aufhängen, er seins natürlich nicht).
Schily antwortete ebenfalls nicht selbst, dafür schrieb sein Sekretär noch handschriftlich etwas dazu. Das war deutlich besser, weil es zu den Unterschriften passte, persönlicher wirkte.Trotzdem waren wir maßlos enttäuscht. Wir hatten rein gar nichts erreicht.

Aus den zweihundert Unterschriften von damals sind heute e- Petitionen geworden, die von Zehntausenden gezeichnet werden, Hundertausende gehen auf die Straßen, und eine handvoll Knalltüten, die nicht einmal den eigenen Allerwertesten hoch bekommt schreibt ins Internet, es seien ja nicht alle auf der Straße. Ja dann lauft halt nächstes Mal mit, ihr Honks! Dafür, was heute von der Couch aus geht, standen wir noch im Regen. Alle Informationen die man benötigt nur einen Mausklick entfernt: man kann alles mit Blogartikeln, Podcasts und Webseiten ergänzen.
Aber im Endeffekt hat sich nichts geändert. Die Petitionen und Artikel gehen in der heutigen Medienwalze unter, wo damals ein Vorzimmer genügte. Die Nachrichten jagen einander, alles ist zu schnell. Ist das jetzt besser? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich bin ich nur so langsam geblieben, wie die Zeiten damals waren.
Sowieso kann die einzig richtige Antwort darauf nur die eine sein, die die Zwillinge und ihre Generation schon gefunden habt: niemals nachlassen.

© Jens Prausnitz 2023

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