20.02.20

Es wäre so schön, wenn wir Städtenamen mit Erfindungen, Kunst, Ideen und Werken in Verbindung „Brecht-en“. Mit Schaffenskraft, nicht Zerstörung, Mord und Totschlag. Aber jeder Stadt ihren Tatort Ermittlerteam. Warum gibt es zur Abwechslung nicht mal eine Fernsehreihe, wo jemand seine inneren Zweifeln niederringt anstatt sich Alibis auszudenken, wo man von Musen geküsst wird und nicht von Kugeln durchsiebt, wo Werke zwischen Buchdeckel passen und sich nicht Sargdeckel über unschuldigen Opfern schließen, wo Romane veröffentlicht werden und nicht Täter auf freien Fuss bleiben?

Sich dann durch die Stadt und ausgelassene Jecken drängeln zu müssen ist surreal. Weiberfastnacht, Straßenkarneval. Dieses Jahr unter dem Motto „All inklusive“. Das klingt mit zehn Toten im Hinterkopf ein wenig anders. Elf, wenn man den Täter mitzählt. Neun, wenn man seine pflegebedürftige Mutter weglässt. Man kann es sich einfach nicht schön rechnen. Es ist doch kein verdammter Wettbewerb. Jedes einzelne Opfer ist eins zu viel. Oder wollen wir das alte Auschwitz noch übertreffen, anstatt das neue zu verhindern?
In der Klinik kollidierten dann die Themenkomplexe Karneval, Corona und Hanau. Mir ist der Kragen geplatzt und dann bin ich nach draußen. Ich habe keine Luft mehr gekriegt.
„Zigarette?“, fragte mich Schwester Birgit, die gerade von ihrer Frühschicht kam.
Ich schüttelte den Kopf. „Danke. Ich möchte zwar, aber mir ist einfach nicht danach.“
„Wegen …“ Birgit ließ mir eine Lücke in ihrer Frage.
„Hanau“, spuckte ich aus. „Ob wir deswegen den Betriebsfasching morgen verschieben. Als sie allen ernstes darüber abstimmen wollten, bin ich raus.“
„Scheiße“, fluchte Birgit. „Also eigentlich der Amoklauf.“
„Allerdings“, stimmte ich zu und ließ mir dann doch eine Zigarette geben, die sie mir anzündete. „Menschen mit Migrationshintergrund, wenn ich das schon höre! Gilt das auch für die ganzen Schwaben in Berlin? Oder einen Bayer in Hamburg? Das Wort, das allen Kommentatoren auf den Lippen brennt ist Ausländer, dabei ist das völlig irrelevant. Die meisten sind doch sogar hier geboren! In einer Klinik wie dieser.“ Ich fuchtelte mit dem freien Arm hinter mich. „Es reicht in Deutschland als fremd wahrgenommen werden, und du wirst zur Zielscheibe. Die eigene gefühlte Wahrheit behält dabei immer recht. Da kannste sagen oder machen, was du willst.“
„Wir könnten einfach Mitbürger sagen“, schlug Birgit vor. „Die zahlen ja die gleichen Steuern, Krankenkassenbeiträge und überteuerten Mieten. Ich gehe nachher zur Mahnwache am Elisenbrunnen. Soll ich für dich mitgehen?“
Jetzt wedelte ich zustimmend mit meinem Zeigefinger vor ihrem Gesicht herum. „Danke dir, ja. Wann soll ich mich geistig dazu gesellen?“
„Um 19 Uhr geht’s los, aber ich schaffe es wahrscheinlich erst gegen acht.“
„Okay.“ Ich inhalierte und lächelte sie an. „Lasst euch nur ja nicht von den Jecken vertreiben.“
„Oh, das sollen sie gerne versuchen. Ich hab immer Mariechen- Spray einstecken.“
„Ein Deo?“, fragte ich.
Sie nickte. „Willst du ma’ riechen?“ Blitzschnell hielt mir Birgit eine Sprühdose vors Gesicht. „Zack – Tränengas.“

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