19.06.20

Es hielt mich nicht mehr im Stuhl, ich beugte mich vor, packte sie bei den Schultern und schmatze ihr auf die Wange. „Danke, danke, danke! Du bist die Beste!“ Ich sprang auf und aus meinen Sandalen, dann in Socken auf den Tisch und twistete mir die Begeisterung aus den Hüften.
Als ich mich wieder beruhigt hatte, sagte sie, dass es ja mein Buch gewesen sei, dass sie anders auf die Welt hat blicken lassen.
„Mein Tagebuch?“, fragte ich so verdutzt wie geschmeichelt.
„Nein, Schwarzes Kleid mit Perlen. Hast du es denn noch immer nicht gelesen?“
„Äh …“
Anita winkte ab. „Erst war ich enttäuscht, weil es kein Krimi war, danach weil es auch keine Agentengeschichte ist, die das Buch erzählt. Dann begriff ich, dass Lola selbst das eigentliche Rätsel der Geschichte ist, das ich nur zu entschlüsseln brauchte. Und der Schlüssel war die ganze Zeit vor meinen Augen, im Titel. Also eigentlich ist nur diese Polin daran schuld, dass ich dein Tagebuch dann mit der gleichen Herangehensweise gelesen habe.“
„Aber das hat doch gar keinen Titel?“
„Aber Schlüsselszenen. Die Zimmernummer wo sie auf dich wartet, die neuen Namen wenn sie untertauchen, all diese Geheimnisse.“
Ich glaube, ich muss das Buch schleunigst lesen, damit ich verstehe, was sie mir da gerade erzählt.
„Ach, ist ja nicht so wichtig. Die Hauptsache ist, jedenfalls für mich, dass ich dir helfen konnte.“
„Moment, welche Polin?“, fragte ich leicht entsetzt. Woher zum Teufel hat sie denn jetzt davon Wind gekriegt? Liest sie etwa schon wieder mit?
„Na die Autorin, Helen Weinzweig?“
„Klingt nicht sehr Polnisch“, bemerkte ich.
„Geborene Tenenbaum“, korrigierte Anita.
„Was denn, wie in dem Film?“
„Was für ein Film denn?“
„Na die Royal Tenenbaums.“
„Die war adelig?“
„Woher soll ich das denn wissen? Du liest doch die ganze Zeit in diesen Heften!“
„Deinetwegen nun ja nicht mehr!“, rief Schwester Anita und stapfte gekränkt aus der Station.

Was mich wirklich traurig macht ist, dass heute früh der Rassist in mir wacher war, als ich selbst. Das kann man ja auch nicht ablegen wie ein Kleidungsstück.
Als 2015 die Kriegsflüchtlinge aus Syrien kamen, da fühlte es sich kurz wieder genauso an wie 1989. Da war wieder eine Hilfsbereitschaft zu spüren gewesen, Menschen in Not zu helfen, weil man es kann und will. Ich war beinahe ein bisschen stolz auf Deutschland. Die Reaktion von außen hätten jedoch gegensätzlicher nicht sein können. Dieses Mal hatten die Geflüchteten die falsche Hautfarbe, oder wie es die „besorgten Bürger“ ausdrückten, um nicht als die Rassisten da zu stehen, die sie noch immer sind: den falschen Glauben.

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