12. Juli 2020 – dritter Tag und Abreise
„Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz“, sagte Doris zu Nadja. „Hätte ich gewusst, dass du hier bist, dann hätte ich dir deinen DDR- Pass als Andenken mitgebracht.“
„Danke, den kannst du gerne behalten“, sagte sie.
Langsam drehte sich Frau Brant zu Nadja um. „Gib mir mal deine Hand.“
Nadja wusste nicht so recht was das sollte, hielt sie ihr dann aber hin. Frau Brant zog sie näher zu sich heran, die Handfläche nach oben. Sie studierte die Linien, als wolle sie Nadja gleich die Zukunft vorhersagen. Dann legte sie ihre andere Hand darüber, sah ihr in die Augen und lächelte. „Du hast so schöne, schlanke Finger. Ich finde du solltest ihn tragen.“
Als Nadja in ihre Hand sah, lag dort ein Ring. Fragend sah sie zu Daniel.
„Ist das etwa …“ Er verstummte.
Frau Brant nickte. „Das ist der Ring deiner Großmutter.“
„Den kann ich unmöglich annehmen“, sagte Nadja. „Was soll denn Connie denken?“
„Die hat ihre Großmutter nicht mehr kennengelernt. Daniel hat sie aber nie vergessen und sehr geliebt. Das wolltest du mir doch damit sagen, oder nicht?“
Daniel schniefte und umarmte zögerlich alle beide.
Ich brach mit dem Vorlesen ab und musste Anita trösten, die jetzt auch schluchzte. „Damit ist es doch jetzt besiegelt, dass ihr wieder eine Familie seid.“
„Findest du?“, sagte ich. „Müsste sich das nicht irgendwie anders anfühlen? Ich weiß nicht, aber der Anfang ist gemacht.“
„Lass das erstmal zusammenwachsen“, sagte Anita und putzte sich die Nase. „Das wird schon noch mit der Zeit.“
„Wundheilung.“
Später wurde sogar Daniel geradezu versöhnlich. „Kannst du mir eine Sache über ihn sagen, die ihn in einem anderen Licht dastehen lässt? Irgendeine, irgendwas. Meinetwegen das er lieb zu Hunden war. Wie Hitler.“
„Du weißt doch, dass er keine Haustiere erlaubte“, erwiderte sie. „Dafür hatte Connie alles was da kreucht und fleucht, meistens gleich mit der dazu passenden Allergie.“
„Dann sag mir wenigstens, dass ich von einem anderen bin, ein Kuckuckskind. Seit ich 14 bin habe ich mir manchmal vorgestellt, du würdest mich beiseite nehmen und es mir gestehen. Vielleicht an meinem 15. Geburtstag, oder dem 16. Ganz gewiß zum 18. – aber da war ich ja schon weg.“
Frau Brant überlegte. „Er hat jeden Abend vor dem ins Bett gehen in der Bibel gelesen.“