16.06.20

Es gibt eine Sehnsucht danach gebraucht zu werden, selbst wenn man darauf keine Lust hat und lieber etwas anderes tun würde – für unser Selbstbewusstsein brauchen wir das gemeinsame Tun mit anderen. Nur im Bierzelt beieinander sitzen ist es nicht, saufen und lästern sind kein Ersatz von dem man sich ernähren kann, wie von einer Ernte, oder ein Haus in dem man wohnt.
In der Gemeinschaft funktionieren kann man aber nur, wenn man auch Einsamkeit aushalten gelernt hat. Sich selbst ertragen, ohne sich Ablenkung zu erlauben. Allein mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen sein können, sie aushalten und aufschreiben. Weil das den Blick schärft. Ein Spiegel des Inneren. Vielleicht ein welliges Bild, verschwommen, unscharf, aber das beruhigt sich wenn man das Warten lernt. Dann spricht die Stimme in einem zu uns.

Sehr philosophisch bin ich da eben geworden. Wo kam das denn bitte her? Liegt wahrscheinlich an der Nacht. Die Apparate piepen, und mein Vogel ebenso. Nicht gerade Heine, aber die Deutschen bereiten auch mir Sorgen. Das Land der Dichten und Querdenker. Kommt wahrscheinlich vom vielen Querlesen. Wenig verwunderlich, dass einem da Sachen entgehen. Aber wir sind da inzwischen an einem Punkt, wo jeder nur noch das in den Nachrichten liest, was er dort lesen will. Das Fatale ist: Dazu muss es nicht mal drinstehen. Jeder dichtet allem das an, was ins eigene Weltbild passt, und schon sind alle Probleme gelöst, ein für alle mal. Leider ist das dem Virus nur ziemlich egal.
Es macht gerade ein Bericht die Runde, von Coronaleugnern in Amerika, dass die die Beatmung ablehnen, weil die sie umbringen würde. Die verweigern bis zuletzt die Hilfe, die ihnen das Leben retten könnte und sterben lieber in und mit ihrem bekloppten Weltbild. Das darf doch alles echt nicht wahr sein! Märtyrer in eigener Sache.
Jetzt verliere ich doch langsam die Hoffnung, dass die Pandemie die Menschen früher oder später zur Vernunft bringen, und zusammenführen wird. Das sind Grenzdenker, frei nach Wittgenstein, frei in den Grenzen ihrer eigenen Welt. Für Andersdenkende ist da kein Platz.

© Jens Prausnitz 2023

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