16.06.20

Dennoch ging es dort sogar gelegentlich demokratisch zu, und das war dann eine jener wenigen Stunden, auf die wir uns wirklich freuten, denn dann durften wir unsere eigene Lieblingsmusik mitbringen, was so einmal pro Halbjahr der Fall war. Das war dann ein Wunschkonzert, das zwar selten von den freitäglichen Hitparaden der vergangenen Wochen abwich, aber eben doch für so manche Überraschung gut war, wenn zum Beispiel jemand seine Vorliebe für französische Chansons outete, oder ein Streber sich mit Klassik bei Herrn Haumann einschleimen wollte, um seine Note aufzubessern.
Wir machten uns lieber einen Sport daraus, die Aufmerksamkeit von Herrn Moritz maximal zu erregen, indem wir die wildesten Sachen auflegten, und er oft schon vorher die Augen verdrehte. Gewonnen hatte unter uns in der Regel derjenige, dessen Auswahl er früher abbrach, weil er den Krach nicht länger aushielt. Wobei wir uns auch mal verschätzen konnten. Denn als Lukas „Whiplash“ von Metallica mitbrachte, lauschte er fasziniert und meinte anerkennend: „Das klingt ja wie eine Motorsäge!“ Was der wohl heute macht? Schon wieder eine Frage für Lukas.

Ich glaube, der größte Unterschied zu damals ist, dass ich mir heute mehr Zeit nehmen kann. Es muss nicht alles in 45 Minuten Abschnitte gepresst werden, sondern darf auch mal länger dauern. Vielleicht rührt ja ein Großteil der Unruhe von Jugendlichen daher, dass man nie bei einer Sache bleibt. Woher soll man auch die Einsicht nehmen, dass Dinge ihre Zeit brauchen? Sonst braucht es eigentlich nur Geduld und Disziplin. Kunst hält sich an keinen Stundenplan, und lernen kann sie nur jeder für sich.
Was mir zum Beispiel damals niemand gesagt hat ist, dass es einfacher ist an 10 Songs zu schreiben, als an einem. Eigentlich sind fertige Stücke mehr ein Nebenprodukt, aber der Prozess selber darf einfach nie aufhören.
In den besten Momenten ist schreiben und komponieren wie träumen. Als wäre man nicht richtig da, nicht wach, sondern etwas ausgeliefert, wie man einem Traum ausgeliefert ist. Worte, die sich zu Versen oder Sätzen formen, werden einem von einer gerade nicht mehr hörbaren Stimme eingeflüstert, man hält sie fest, kann gerade so Schritt halten, und ist vom Festgehaltenen genauso überrascht wie der nächste Leser. Aber was soll man sonst mit seiner Zeit anfangen, wenn nicht wachsen, heilen, bauen, reparieren? Zerstören tut nur, wer sonst nichts kann, oder Angst vor dem Versagen hat. Gibt es etwas schöneres, als in einer Gruppe etwas zu schaffen? Ob als Band einen Song zu schreiben, oder auch nur einen anderen zu spielen, ein Haus zu bauen, ein Feld bestellen? Und das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit feiert man dann auch zusammen. Heute ist nur das Feiern übrig geblieben, das Party machen. Der Gemeinschaftsaspekt ist verloren gegangen, wo man an der fertigen Wand vorbei geht und noch immer sagen kann, was man daran gemacht hat; vielleicht eine Reihe Ziegel gelegt, oder die fertige Mauer verputzt. Ein Mauerbild malen … vielleicht ist es das, was mich so daran rührt?

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