16.06.20

Die letzten Tage waren musikalisch so intensiv und ergiebig, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Es ist tatsächlich so, als würde ich Musik noch einmal neu lernen. Und nicht nur rein technisch, wie im Lockdown. So gute Lehrer wie jetzt im Internet hatte ich nie. Gut, das ist nicht fair, ich kann ja selbst bei Neil in die Lehre gehen ohne mich vor ihm blamieren zu müssen. Als Musiklehrer an einer Schule bist du echt verloren. Wie hieß noch unser Musiklehrer am Gymnasium, der zu Lukas’ Enttäuschung gar nicht aus Frankreich kam? Wir nannten ihn ja nur Moritz. Haumann war’s! Maurice Haumann. Oder eben nur Herr Haumann. Denn in der allerersten Stunde beging er den Fehler, dass wir ihn mit seinem Vornamen anreden durften: Maurice. Ich weiß nicht mehr, wer es war, der da Moritz gehört hatte – nicht Lukas, der wurde ja bei allem Französischen hellhörig. Ist ja auch egal, ab da war er unter uns „der Herr Moritz“.
Schade, dass er uns nicht ähnlich für Musiktheorie begeistern konnte, wie wir uns für alberne Wortspiele. Dabei hechtete er bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit mit ausgestreckten Armen zurück an den Flügel, wie um sich abzuklatschen. Ganz so, als hätte er sich alle fünf Minuten der Existenz des Instruments versichern müssen. „Ich spiel euch das mal kurz vor!“ Dann klimperte er etwas, traf dabei stets mehr Töne als nötig, oder schlimmer fischte aus dem Gedächtnis erst nach den richtigen, grundsätzlich stehend, über die Tasten gebeugt, und „wie ging das noch“ murmelnd.
Der fensterlose Saal sollte uns vermutlich eröffnen, dass die Musik selber hier das Fenster war, mit deren Hilfe man in sich hinein und über die Schule hinaus blicken konnte. Für seine Akustik war der Raum jedenfalls nicht gebaut worden und nur dem Namen nach unser Musiksaal. Wahrscheinlich weil Musik das letzte Fach war, das noch irgendwohin zugeordnet werden musste. Ich sehe den Direktor förmlich vor mir: „Scheiße, wir haben Musik vergessen!“ – „Beim Einweihungsfest?“ – „Nein, als Zimmer!“
Musik kam immer zu kurz. Kunstunterricht konnte auch in normalen Klassenzimmern stattfinden, da war es mit ein paar Schränken und Schubladen getan. Instrumente hingegen tendieren eher zur Sperrigkeit. Für den Unterricht taugliche mussten aber in einen Schrank passen. Mehr als Holzklötzchen und Triangeln um den Rhythmus mit zu klopfen waren also nicht drin, höchstens noch ein Tamburin und bestenfalls ein kleines Xylofon, um das zu spielen man knobeln musste. Wer mehr Instrumente ausprobieren wollte, war auf die Eltern angewiesen. Unterricht konnte man in der Schule haben, wenn man den Kram mit sich herumschleppte. So blieb im Unterricht für die meisten nur das Noten mitlesen übrig. Das macht ja auch weniger Krach. Und es reichte, wenn man nur so tat, als wüsste man auf welcher Zeile man gerade war.
Maurice Haumann hatte es ganz bestimmt nicht leicht mit uns. Selbst beim Vorsingen sangen wir lieber absichtlich schief, damit wir hinterher ja nicht in den Schulchor mussten. „Mei Pony leis über dem Ofen“, solche Sachen eben, zur allgemeine Belustigung.

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.