16.05.20

„Wiss ihr noch, ‚Karl der Käfer’?“, fragte Daniel in die Runde, als wir uns gerade verabschiedet hatten.
Das hatte ich auch vergessen! Lukas hatte den genialen Einfall, dass wir mit einem Kassettenrekorder über den Pausenhof laufen könnten, auf dem „Karl der Käfer“ zu hören war. Das fanden wir doof, hatten aber keine bessere Idee, also wurde es so gemacht. Der Plan war so: Das Lied hörte dann jeder, und wenn es alle Zuhause ihren Eltern erklärten, dann würde es sich verbreiten. Das Schneeballprinzip, Pyramiden-Schema, Kettenbrief – noch nie davon gehört, aber selbst darauf gekommen. Verbreitet sich wie ein Virus, steckt alle an, und wenn genug Bescheid wissen, dann tut sich was. Vielleicht. Pustekuchen.
Mit ernsten Gesichtern liefen wir los, während es blechern „Karl der Käfer“ aus dem Ding tönte. Lukas rührte das Lied zu Tränen, uns war es eher ein bisschen peinlich. Zum Glück oder Pech war der Kassettenrekorder nicht laut genug um den ganzen Pausenhof zu beschallen, die Kinder hörten nicht zu, und wenn man weiter lief, fehlte den nächsten schon der Anfang vom Lied, und ach, es war ein Elend.
Doch so schnell gab Lukas nicht auf. Wir sollten nur warten, was wir dankend annahmen. Dann lief Lukas ohne uns los und erkundigte sich im Sekretariat, ob man nicht das Mikrofon für Ansagen an seinen Kassettenrekorder halten könnte. Ja schon, aber nein. Lukas zeigte sich dann noch uneinsichtiger als der Direktor und die Angelegenheit endete mit seinem ersten Verweis. Wer sich drei einfängt, fliegt von der Schule. Leider konnte man das nicht mit dem Sitzenbleiben verrechnen. Die Meinung von Karl dem Käfer wurde nicht eingeholt.
Das war noch zu Zeiten, als Lukas in Eging wohnte. Erst in der siebten zog er mit seinem Bruder in die Fischerzeile, weil das näher am Gymnasium lag. Lukas verpasste so regelmäßig den Schulbus, dass er noch am darauffolgenden Tag zu spät dran war, mit den Hausaufgaben von vorgestern. Deswegen nannten wir ihn unseren „Zeitreisenden“: Seine Hausaufgaben mochten der Vergangenheit entstammen, aber da er auch mal sitzen geblieben war, hatte er logischerweise auch schon unsere Zukunft gesehen. Das glich sich also irgendwie gegenseitig aus. Als er dann in Vilshofen wohnte, neckten wir ihn nur noch als unseren Zuagschlichenen.
Dem Umzug zum Trotz kam er zwar weiterhin zu spät in die Schule, aber immerhin noch am gleichen Tag, das war für ihn schon ein Fortschritt, und die Zeitlinien begannen zu verheilen. Seine Zensuren wurden sogar wie von seinen Eltern erhofft tatsächlich besser, aber nicht durch die Verkürzung der Entfernung zur Schule, wie sie annahmen, sondern weil wir ihm endlich näher waren und uns jetzt gegenseitig Nachhilfe geben konnten: Daniel uns in Deutsch und Englisch, ich dann bei Mathe und Physik, und Lukas … war halt auch da. Aus den restlichen Fächern versuchten wir irgendwie gemeinsam schlau zu werden. Aber er hatte auch zur Abwechslung mal keine brüllenden Geschwister um sich herum. Gut möglich, dass auch das einen nicht unwesentlichen Teil dazu beigetragen hatte, dass sich seine Konzentrationsfähigkeit erhöhte.
Lukas war immer gut gelaunt, und das half uns sehr. Also war es klar, dass wir seinem Anliegen mit „Karl der Käfer“ ebenfalls halfen. Nur wie? Es lag jetzt allein an uns etwas zur Ehrenrettung von Lukas zu unternehmen.

Erst heute den Drosten nachgehört, mir fehlte die letzte Ausgabe. Jetzt war auch bei ihm PIMS Thema. Ich hab erstmalig das Gefühl etwa auf dem gleichen Level informiert zu sein. Heßler war sogar schneller, ich bin wirklich schwer beeindruckt.

© Jens Prausnitz 2023

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.