„Dann wird’s aber Zeit. Ich dachte auch …wegen der Luft? Zauberberg und so?“
„Um Himmels Willen!“, rief ich. „Keine Schullektüren bitte. Wir haben darunter schon mehr gelitten, als der erste oder der neue Werther zusammen.“
„Ich dachte nur an einen Luftkurort.“
„Und ich an Werther’s Echte. Ist mir noch nie aufgefallen. Heute fühl ich mich wie der Großvater.“
„Geduld, bald ist es ja so weit.“
„Ahhh! Bitte hör auf.“ Walentyna lachte, und mir war ein wenig leichter um’s Herz. „Gibt es denn in Polen einen Luftkurort, an den wir fahren könnten.“
„Nein“, sagte sie. „Also ja, aber ich wollte, dass du Polen an Allerheiligen kennenlernst. Das sollte eine Überraschung sein. Oder hast du schon eine Kerze für Neil angezündet?“ Hatte ich nicht. „Das wird sich richtig anfühlen, glaub mir. Aber jetzt …du mußt mir glauben, ich hatte mir das vorher überlegt, ich … damit wollte ich nicht sagen, dass …“
„Schon gut, schon gut“, sagte ich schnell. Ich merkte, wie mir langsam die Puste ausging. „Wir fahren nach Zwiesel. Das ist vielleicht kein Luftkurort – jedenfalls weiß ich das nicht – aber meine Mutter ist von dort, und … ich würde mir das gerne mal ansehen. Wenn du mich begleitest?“
„Natürlich komme ich mit!“, sagte sie.
„Und ich an Allerheiligen zu dir.“
„Einverstanden.“
„Um die gleiche Zeit morgen?“, fragte ich, um das Gespräch zu beenden, bevor ich ohnmächtig wurde oder schlimmeres. So verblieben wir. Ich wollte heulen, aber ich kämpfte dagegen an, weil ich Angst hatte dann keine Luft mehr zu bekommen.
Und dann stand es vor meinem inneren Auge, dieses Wort: Testament.
Ich hab keins. Ob ich vielleicht eins machen sollte?
Mit Ende 40 denkt man eben noch nicht ans Sterben. Oder nicht mehr. Mit 15 habe ich mir versucht das Leben zu nehmen. Mama hat mich zweimal zur Welt gebracht, das erste Mal in ihrem, das zweite Mal in meinem Blut.
Ich will noch nicht, dass es vorbei ist.
Ich will nicht meine Beerdigung regeln, oder Organspender werden – meine Lunge ist eh im Arsch, und das Herz auch, von der verdammten Raucherei. Nein, ich will den Menschen, die ich liebe wissen lassen, dass ich sie liebe, und das es okay ist.