Mario nahm den Einwurf gar nicht zur Kenntnis und redete weiter auf mich ein. „Frag dich mal, was wichtig für YouTube ist. Ist es die Qualität des Videos oder sein Inhalt?“
„Na ja, die Qualität spielt schon auch eine Rolle“, sagte ich wenig überzeugt, weil ich mir nur wünschte, er würde den Mund halten. Ich konnte ihn ja schlecht einfach küssen, wie Clara. Aber langsam kam ich zu der Überzeugung, es wäre einen Versuch wert.
„Dachte ich auch, aber ein verwackeltes, unscharfes Video von einem der gegen eine Laterne rennt hat mehr Clicks als unsere zur Klimakatastrophe.“
„Unsere sind halt zu lang“, meinte Dennis. „Hast du doch selber gesagt.“
„Ja, und mehr als eine Woche Arbeit reingesteckt. Was ist jetzt mehr wert oder langfristig wichtiger für unsere Spezies?“
„Na, wahrscheinlich deins“, meinte ich, schüttete den braungebrannten Speck in eine Schüssel und wartete auf den nächsten Schwung, was Mario nicht registrierte, also nahm ich ihm das Messer aus der Hand.
„Wer weiß?“, warf Clara überraschend ein. „Vielleicht ist das andere für die Gesundheit von vielen Menschen besser, weil sie zum ersten Mal seit Wochen herzhaft lachen und deswegen nicht krank werden?“
„Darauf will ich überhaupt nicht hinaus“, sagte Mario. „Die Bereitschaft sich dort kurze Videos anzusehen ist einfach höher, als bei langen. Deswegen glaube ich auch, das TikTok den Markt gerade nochmal aufrollt. Ist wie die späte Rache von Vine.“
Ich runzelte die Stirn. „Waren TikTak nicht die, die die ganzen Tickets bei dieser Wahlveranstaltung weggekauft haben?“
„TikTok, ja. Genau die. Das ist eine Generationenfrage und auch mehr ein Spiel, das zufällig ein bisschen politisch ist. Worauf ich hinaus will: Videos findest du heute überall im Internet, selbst von Zeitungsverlagen. Weil das Internet das Medium ist, das alle anderen vor sich in sich vereint. Buchdruck, Zeitung, Radio, Fernsehen. So weit klar?“
Nickende Köpfe.
„Das große Versprechen war, dass im Internet nicht mehr jeder nur Konsument ist, sondern auch selber Inhalte einstellen kann. Eine große, demokratische Maschine.“
„Es schreiben doch auch alle ihren Unfug ins Netz“, sagte Dennis.
„Richtig, das war aber auch schon vor Google, Amazon, Apple und Facebook so.“ Mario winkte ab. „Bei AOL, Netspace, Metacrawler – warte einen Augenblick, ich hab den Gedankengang gleich fertig. Jetzt kann man damit wieder Geld verdienen, über Algorithmen und Cookies. Aus der Scheiße, die Leute schreiben Gold machen, weil es viele hören wollen. Auch die, die dort widersprechen, versteht ihr?“
Zuckende Schultern, nickende Hälse, gerunzelte Stirn.
