„Es macht schon einen Unterschied, ob man sich durch Zufall in einer Millionenstadt über den Weg läuft, oder weil man gerade am gleichen Ort ist, worüber jemand bewusst alle Fäden in der Hand hält.“
„Aber das weiß doch niemand!“
„Doch!“, rief Walentyna und packte mich an den Schultern. „Du weißt Bescheid. Und ich jetzt leider auch“, fügte sie wütend hinzu, und ließ mich Trampeltier vor der Karawane stehen.
Bei den roten Pandas holte ich sie wieder ein.
„Es tut mir leid, dass ich da mit hinein gezogen habe.“ „Johann, ich will damit nichts zu tun haben.“
„Habe ich verstanden, kein Wort mehr.“
„Ich will keine Kinder haben“, sagte Walentyna plötzlich kleinlaut. „Deswegen war ich damals von dem Moment an beruhigt, dass du schon welche hast. Das nahm den Druck aus unserer …“
„Bekanntschaft?“, schlug ich vor.
Sie atmete langsam aus. „Ich lasse es gerne ruhig angehen.“ „Überrascht mich jetzt nicht wirklich, Karin“, scherzte ich. Dann wurde ich aber ernst und sagte: „Das hört man nicht gerade alle Tage. Also bewusste Kinderlosigkeit.“
„Erklär das mal meiner Familie“, erwiderte sie resigniert. „Mit Ausnahme meiner Oma natürlich.“
„Die klingt nach einer coolen Socke. Verzeihung, wenn …“
„Nein, das passt ganz gut. Ich bin halt glücklich so, wie ich bin. Ich brauche keine Karriere, keine Kinder, keinen Kerl.“
„Sechs Wörter mit k, nicht übel.“
„Kannst noch Küche und Küste dazu tun. Ich koche für niemanden und das Meer kann mir gestohlen bleiben.“
„Wenn es dir eine Hilfe wäre, ich würde es deiner Familie beibringen, damit du es dir nicht mehr anhören musst.“
Walentyna drehte sich zu mir um, sah mir in die Augen und lächelte schließlich. Sie nickte bestätigend zu sich selbst, und ich hätte alles gegeben, was ich besaß, um zu wissen, was sie gerade gedacht hatte.
© Jens Prausnitz 2023