14.02.20

Vielleicht war es ein Fehler in der Schule den Fokus auf die Monstrositäten zu richten, es von der Endlösung her zu denken, den Vernichtungslagern. Das kann niemand fassen. Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt und dann tritt es einen in den Bauch. Niemand hat versucht uns zu erklären, wieso unsere Großväter und Großmütter dort mitgelaufen sind. Die Bilder muss man irgendwie zusammenbringen können, die Süßigkeitenspender und die Gaskammern.
Erst beim Quellenstudium in der 10. Klasse bekam man eine Ahnung. Da haben wir vergilbte Seiten aus den Archiven gelesen, Zeitungsartikel, und da war endlich eine Nummer kleiner, auf nachvollziehbare Größe geschrumpft. Alles ein bisschen langweilig, wie die Tagespolitik heute auch. Mahnende Stimmen gab es früher ja auch, nur hielt man die genauso für übertrieben und überspitzt, wie heute.
Das Wegsehen und nicht mehr hören können muss aber noch früher begonnen haben, und an die Wurzel des Übels hat sich niemand heran gewagt, weil es bis in jede Familie reicht, selbst wenn sie nur im richtigen Moment weggesehen haben. Allerdings mindestens 12 Jahre lang. „Heute habt ihr als Hausaufgabe, dass ihr euch von den Großeltern erzählen lasst, wann sie das erste Mal einen Juden abfällig angesehen haben.“ Das hat kein Lehrer gewagt. Aber da ist sie, die Wurzel. Eine Wurzel. Und die Großeltern hätten ihre Großeltern fragen müssen, warum … uns so weiter, und es werden auch dann immer „die anderen“ gewesen sein, die Hexen verbrannt haben. Denunziert haben sie sich bestimmt selber. Das haben sie in ihren Geständnissen ja selbst bestätigt, und wer wolle da heute widersprechen?
Wenn man diesen Nachbarschaftsneid, wenn man die Gier und Missgunst begreift, die man durch eine einfache Denunziation an der richtigen Stelle – Inquisitor hier, Gestapo da – aus der Welt schaffen kann, und deren Nachlass man dann obendrein günstig ersteigern kann, etwa unter Parteibuchträgern mit Vorkaufsrecht weit unter Wert, dann hat man sich das doch auch ein bisschen verdient, oder nicht? Diese Woche sollt ihr als Hausaufgabe fragen, wo wir diese tollen, alten Möbel eigentlich her haben. Seit wann genau sind die in Familienbesitz? Also unserem? Sowas kostet heute ein Vermögen, also früher noch viel mehr, aber da waren wir doch angeblich viel ärmer? Gebt euch nicht mit „Ach, da gab es diese Wohnungsauflösung in der Straße …“ als Antwort zufrieden, denn beim einen oder anderen werden dort früher mal Juden gelebt haben. Bei alten Möbeln läuft es mir kalt den Rücken runter. IKEA mag ja hässlich sein, aber für mein Gewissen deutlich besser. Wenn es nicht gerade die sind, die in der DDR für den Westen zusammengeschraubt wurden.

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