„Von denen hat keiner Giordano gelesen, sonst wüssten sie ja, was da tatsächlich noch in den Schubladen schlummerte. Da ist es mir kalt den Rücken runter gelaufen. Weil die Eichmann’s und Co. haben es alle gewusst, oder sogar selbst dran mitgeschrieben.“
„Diese neuen Nazis, sind immer noch die Alten“, fasste ich zusammen.
„Aber damals konnten sie abends sicher über die Straße gehen.“
„So lange sie keine Juden oder Minderheit waren.“
„Genau das. Man kann sich hervorragend im Recht fühlen, wenn es
niemanden mehr gibt, der einem widerspricht. Und heute sind sie die Minderheit. Jedenfalls noch.“
Tja noch, dachte ich. Allerdings sehe ich die Entwicklung weniger optimistisch, als Heßler.
„Was mich fertig macht, ist“, begann ich schließlich. „Dass man Kinder jetzt dazu zwingt wieder in die Schule zu gehen.“
„Ja.“
„Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Ja?“
„Was gibt es denn mehr zu sagen.“
„Na, weil wir unsere verdammten Münder aufmachen könnten,
vielleicht deshalb? Es ist ja nicht erst seit gestern oder der Pandemie so, dass uns die Hände gebunden sind. Wir flicken die Kinder doch nur wieder zusammen und schicken sie zurück an die Front!“
„Du meinst in ihre Familien.“
„Das ist doch dasselbe!“
„Wir halten die Klappe, so ist es doch. Erst die Sozialfälle, und jetzt
lassen wir die zurück in die Schule gehen, bei einer Atemwegserkrankungen.“
„COVID ist keine Atemw…“
„Du weißt was ich meine!“ Ich hatte tatsächlich geschrien und Dr.
Heßler war hinter mir stehen geblieben. Mit dem Rücken zu ihm sprach ich weiter. „Wir wissen, wie es in den Familien zugeht. Physisch und psychisch misshandelte Kinder, gefühlt jedes zweite Kind auf die eine oder andere Art in beschissenen Verhältnissen aufwachsend.“
Heßler schwieg. Oder war nicht mehr da, ich konnte mich nicht umdrehen.
„Warum schlagen wir nicht Alarm? Wieso habe ich immer den Eindruck, dass wir alles unter den Teppich kehren? Und jetzt durchseuchen wir sie absichtlich, obwohl wir noch gar nicht wissen, was das bedeutet?“
Ich drehte mich um. Da war er noch und sah mich an.
