Jedenfalls wollte ich nicht allein sein, und die Telefonate und E- Mails machten es noch schlimmer – dabei war es vorher doch fast genauso. Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Dennis und Daniel mir ihre E-Mails nicht geschickt hätten. Ein paar Tage länger in meinen Zweifeln schmoren, und es wäre um meinem Verstand geschehen gewesen. Eine Podcast weniger gehört, einen Artikel zu wenig gelesen, einen Abend nicht Schlagzeug gespielt … mir ist jetzt so, als wäre alles davon am Rande eines Abgrunds geschehen, und erst jetzt, wo ich mich auf den Absatz hochgeschwungen habe, stelle ich fest, wie entkräftet ich bereits die ganze Zeit war.
Nur die Masken in der Arbeit sind neu, und ehrlich gesagt frage ich mich, warum wir das nicht schon seit Jahren so handhaben. Ist ja nicht so, dass wir in der Notaufnahme nicht auch anderen Viren begegnen würden. Wo war da der Schutz für die anderen Patienten, oder uns selbst?
Gestern die ganze Nacht die Melodie von „The last unicorn“ im Kopf gehabt, allerdings mit einem anderen Text:
I’m the last Marx on earth
All my friends are Engels
Die halbe Nacht habe ich deswegen dämlich gegrinst und gekichert, alberne Variationen notiert und mich pudelwohl gefühlt, ganz für mich allein. Ich glaub, ich nenne das den „Lonesome communist blues“.
So langsam scheine ich doch von Neil zu Peart zu finden.
Hatte beinahe die E-Mail an Lukas vergessen. Eben noch abgeschickt, und weil ich eh dabei war auch eine an Daniel, um nicht schon wieder telefonieren zu müssen. Muss los. Letzte Nacht.
Ach, noch was war gestern: eine Anti-Corona-Maßnahmen Demo fand in Aachen statt. 200 Leute am Elisenbrunnen, unangemeldet. Dafür haben sie wohl aber eine angemeldete Seebrücken Demo gestört. Ob von Tina’s Kreidefussabdrücken noch etwas übrig geblieben ist?
© Jens Prausnitz 2023