Stattdessen spielte er uns nur voller Stolz seltsame Platten vor, lauter obskure Rockbands von drüben. Ich erinnere mich an ausschweifenden Geigengefidel in einem überlangen Intro, und auf sowas standen wir ja eigentlich. Hätte eigentlich sogar in Jägerwirth laufen können, und keiner hätte was gemerkt, oder was von wegen Klassenfeind gemeckert. Dort ja sowieso nicht. Wahrscheinlich lief es eh dort.
Das mit der Musik ging auch noch, aber das FDJ-Hemd mit Halstuch wollte nicht so recht dazu passen. Oder der ganze Ost- Krempel in seinem Zimmer. Eine Fantasie-DDR, in der er sich zu Hause fühlte, die genauso wenig mit Sozialismus zu tun hatte, wie das große Gegenstück Richtung Ural, und uns auch genauso fremd blieb. Ständig kaufte er irgendwelche rostigen, abgegriffenen Devotionalien: Orden, Mützen, Kaffee, obwohl er keinen trank, aber eben auch Süßigkeiten. Wenn der Rubel nur rollt, dann waren solche Sozialisten jedenfalls auch bei uns im Kapitalismus gerne gesehen.
Kommunist war er jedenfalls höchstens theoretisch, weil teilen wollte er die Süßigkeiten von drüben nicht mit uns, auch dann nicht, wenn wir versprachen auf die DDR Fahne zu schwören, die über seinem Bett hing. Bei anderen hingen halt Bandposter an der Wand, bei mir ein noch im Sturz befindlicher getroffener Soldat in schwarzweiß unter dem Schriftzug „Why?“. Das war grundsätzlich bei jedem Wandbehang die richtige Frage. Also warum schlief man in Niederbayern unter Hammer und Sichel? Das konnte man dort auch in jeder Scheune haben.
Was wohl aus ihm geworden ist? Für ihn muss damals eine Welt zusammengebrochen sein, als die Flüchtlinge kamen. Das war doch sein Paradies gewesen, und aus dem floh man doch nicht. Selbst wenn es nur eine Illusion gewesen war, für ihn hat sie funktioniert, so lange sie auch drüben blieb, außer Reichweite. Von dieser Sehnsucht hat er gelebt, sie ließ ihn Vilshofen ertragen.
Nach Thüringen wird er kaum gezogen sein, und wenn doch, dann hat er jetzt bestimmt nicht die FDP oder AfD gewählt. Vielleicht hätten mehr von uns nach drüben gehen sollen. Alles ist besser, wenn man ein Ziel hat, einen Fluchtpunkt, ein Anderswo, an dem man sich wohler fühlt, als da, wo man ist.
Heute will ich nur alle auf den Mond schießen.
Wenn sich das damals doch alles herumgesprochen hatte, wieso tun die heute so, als gäben die Worte in den Parteinamen hinweise auf deren Inhalt? Die Grünen sind gar nicht mehr so grün wie sie tun, die Liberalen nichts dergleichen, die Christdemokraten weder das eine noch das andere, die Linken blinken und verraten haben uns schon wieder die Sozialdemokraten. Aber die Alternative für eine zu halten, ist so bekloppt, wie 70 Jahre Bundesrepublik im Dornröschenschlaf verpennt zu haben.
Trotzdem haben die Leute im Westen deswegen nie scharenweise NPD und DVU in die Parlamente gewählt. Nur mit den Republikanern sah es kurz danach aus, dann fiel aber der Eiserne Vorhang. Anscheinend manchen auf den Kopf und hat bleibende Schäden hinterlassen. Es geht schon viel zu lange darum nur noch die Partei zu wählen, die man am wenigsten Scheiße findet. Aber deswegen greift man doch nicht gleich ins Klo.