Daniel hat erzählt, wie es damals in München war, als nach den RAF Terroristen gefahndet wurde. Die Plakate klebten wie riesige Bingokarten überall – der Eindruck hatte sich ihm aufgedrängt, weil sein Vater in dem Schreibwarengeschäft immer seine Lottozettel abgab. Die Fotos hatten etwas bedrohliches, in ihren harten Kontrasten, und es war einem wohler, wenn wieder ein Kästchen durchgestrichen wurde. Ob es etwas für die Polizisten zu gewinnen gab, wenn sie den letzten erwischten? Unangenehmer seien nur die Kontrollen gewesen, aber auch eher im Nachhinein, denn er hat die Maschinenpistolen bestaunt. Die sah man ja nicht jeden Tag aus der Nähe. Eine auch nur annähernd vergleichbare Präsenz der Polizei hat es bei den gesuchten Nazis nie gegeben. Stattdessen wurden die Angehörigen beschuldigt und verhört, monatelang, über Jahre.
Und heute? Holen sie die Nazis die Adressen direkt von der Polizei.
Wer ist denn da bitte eigentlich von wem unterwandert? Oder ist das die Folge, weil der Abgrund in den man guckt irgendwann in einen zurück blickt?
Ich hatte viele Geschichtslehrer, aber keinen von ihnen hat je einen Zweifel daran gelassen, dass die Nazis auf der falschen Seite der Geschichte standen. So ähnlich muss es doch überall gewesen sein, oder nicht? Die, die jetzt in den Parlamenten sitzen, sind doch unsere Generation, wie kann man da so blind sein? So geschichtsvergessen? Das wird uns ja schon nicht passieren? Wir haben ja was daraus gelernt? Ja, nein, haben wir offensichtlich nicht.
Ich mag 74 Thüringern das amtliche Endergebnis um die Ohren hauen. Andererseits haben die nicht die Erfahrung wie wir im Westen gemacht, mit der NPD, der DVU und den Republikanern. Oder den strammen Nazis, den Wehrsportgruppen, oder einer umkippenden FDP. Aber dass es nach dem NSU noch immer nicht in den Köpfen angekommen ist, dass die Mörder überall stille Unterstützer sitzen haben? Im rechten Moment wegschauen, da macht uns keiner was vor.
Aber wieso vertrauen die auf diese Pappnasen? Die hatten sie doch schon genauso auf links gedreht gesehen. Die SED hat doch genauso Unfug verbreitet und sich dann privat in ihre Jagdschlösschen zurück gezogen, wo es ihnen besser ging als dem Durchschnitts-Sozialist draußen. Die echten werden zur Seite gesehen haben. So als wären das nur fehlerhafte Auswüchse, die mit der Zeit verschwinden würden.
Himmel, da fällt mir ein: wir hatten ja sogar einen an der Schule. So einen Fantasie-Sozialisten, lange vor dem Mauerfall. Der ist gerne im FDJ-Hemd rumgelaufen und hat sein Jugendzimmer in ein imaginiertes DDR-Museum verwandelt, so wie manche es drüben heute machen. Entpolitisierte Sammelobjekte, die alles bedeuten konnten, was man wollte.
Wie hieß das Blauhemd nochmal richtig? Er wohnte jedenfalls auch in der Ortenburger Strasse, ein paar hundert Meter weiter oben als ich, und er hatte uns immer zu sich eingeladen, insgeheim wahrscheinlich um uns umzudrehen, einen nach dem anderen.
Einmal waren wir dann tatsächlich auch bei ihm gewesen. Vorsichtshalber zusammen. Wir hatten eh nichts besseres zu tun, und ein bisschen spannend war es ja auch. Wenn uns der Ost-Geheimdienst als Spitzel anheuern wollte, dann hätten wir wenigstens unser Taschengeld aufbessern können – und besser als … na Dingens, wären wir allemal gewesen.