„Aber die schlafen doch alle!“
„Ja und? Das ist doch wunderbar, über den im wahrsten Sinne des Wortes gesunden Schlaf anderer wachen zu dürfen. Wie am Lagerfeuer sitzen und Nachtwache halten, nur bequemer halt.“
„Und was von dir, wenn du mal tot bist?“ Schwester Heide errötete. „Tut mir leid, das heißt nicht, dass ich … also …“
„Schon in Ordnung“, sagte ich und überlegte. „Aus Sicht meiner Patienten hier über die Jahre, dass ich der einzige bin, der beim Nutella-Toasts schmieren nicht an der Nutella spart, und sie im genau richtigen Moment bestreiche, wenn sie gerade anfängt sich zu verflüssigen, aber nicht so dolle, dass es einem dann am Kinn klebt.“
„Ich meinte die Frage ernst.“
„Ich meine Antwort auch. Das ist erstens gar nicht so einfach, und zweitens trägt es entscheidend zum Wohlbefinden unserer Patienten bei – mindestens so sehr wie unsere Vitamin-C Tabletten, die wir ihnen als Placebo gegen alles mögliche verabreichen, wenn sonst nichts mehr hilft.“
„Okay.“
„Aber dir ging es nicht um die Arbeit, oder? Eher sowas wie … Kinder? Nachkommen? Oder – Gott bewahre – Kunst?“
„Eigentlich schon“, sagte Schwester Heide. „Wozu schreibst du die ganze Zeit?“
„Inzwischen um mir die Zeit zu vertreiben, aber sonst?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Von mir bleibt nichts, außer der Erinnerung an leckere Toasts, oder andere Kleinigkeiten, die hier und da jemanden eine kleine, und hin und wieder sogar eine große Krise haben überstehen lassen. Das ist doch eine ganze Menge.“ Sie wirkte noch immer nicht zufrieden. „Darüber hinaus nur Dünger.“
Sie winkte ab. Das war nicht, was sie hören wollte. Als ich sie fragte, was denn von ihr bliebe, dann ging es wieder von vorne los: die Gesundheit ihrer Enkel, in Freiheit leben, die ganze verquirlte Pampe. Es ist völlig egal, was man sagt, danach geht das Radio an und man erträgt die gleiche Leier ein weiteres mal. Die Greatest Hits dessen, was schon in den 80ern und 90ern doof war, plus das blödeste von heute.
Morgen nehme ich wieder ein Buch mit in die Nachtschicht. Das ist ja echt nicht mehr auszuhalten.
© Jens Prausnitz 2023