„Das kann man vernachlässigen. Der Planet auf dem wir sitzen wiegt das mehr als auf. Du denkst einfach mehr über dieses Vilshofen nach, als über Aachen, obwohl du dort schon lange nicht mehr wohnst.“
„Wenn es dann gar nicht an den vielen Menschen liegt, wieso hat dann das Land gefühlt mehr Gravitation als die Stadt? Schwerere Gedanken, oder wie?“
„Es ist ja andersherum: die langsamer vergehende Zeit ist die Ursache des Gravitationsfeldes.“
„Und wo keine Menschen sind ist dann die meiste Gravitation?“
„Was hast du denn mit den Menschen? Das gilt auch für Objekte, Steine. Das könnte man mit der C14 Methode nachweisen.“
„Und, hat man?“
„Weiß ich ehrlich gesagt nicht. Müsste es aber.“
„Aha. Und wenn es mit dem Bewusstsein zu tun hat? Wo nix gedacht wird, der Kopf im Leerlauf ist … Beobachter, die, die … die das Beobachten verweigern, oder … oder nur andere beobachten ohne sich dabei etwas zu denken.“
„Die erzeugen ein Gravitationsfeld?“
„Ja. Warum denn nicht?“
Heßler lachte. „Ich weiß zwar nicht, ob dir dieses Interesse für Physik gut tut, aber es unterhält mich ganz prächtig! Bier?“
„Ja“, erwiderte ich mit trockener Kehle. „Das ist deine Antwort auf alles.“
„In der Stadt genauso wie auf dem Land“, sagte Heßler und trottete in die Küche. Während wir Bier tranken, klagte ich ihm mein Leid über den Verlust von Neil und den anderen Musikern. Er stand nach einer Weile auf, ging zu seinem Plattenregal, suchte und fand etwas. Er bereitete sie vor, wartete aber mit dem Abspielen, bis mir die Worte ausgingen. Nach der Scheibe waren mir auch die Tränen ausgegangen. Es war Tonight’s the night von Neil Young und auf wundersame Weise genau der Trost, den ich gebraucht habe.
Währenddessen weiten die Chinesen die Quarantäne über weitere Millionenstädte aus, die über 100km von Wuhan entfernt liegen. Aber nein, wieso sollte man sich Sorgen machen.
© Jens Prausnitz 2023