„Wenn es regnet, dann deinetwegen“, sagte ich und wir liefen gemächlich Richtung Stadtpark und Kurgarten.
„Dann kannst du doch deinen Reiseschirm zu Hause lassen“, meinte er.
„Das würde dir so passen“, sagte ich und wirbelte ihn durch die Luft wie einen Drumstick. „Habe ich dir eigentlich von der wiedervereinigten Wetterkarte erzählt? Wie die die Wiedervereinigung vorweg genommen hat, und nicht mehr ein grenzenloses Europa zeigte?“
Er grinste kopfschüttelnd.
„Was gibt’s da zu lachen?“
„Wenn du etwas früher geboren worden wärst, dann hättest du noch 1969 in der ARD Deutschlandkarten in den Grenzen von 1937 sehen können.“
„Nicht dein Ernst.“
„Doch. Es gab eine Beschwerde, ich glaube aus der DDR, die eben doch heimlich Westfernsehen guckte.“
Während wir Straßen und Kreuzungen Richtung Park überquerten, dachte ich darüber nach, mit welcher Deutschlandkarte im Kopf noch mein Opa groß geworden war. Mein Schock ähnelte sicher seinem nach 45, nur in die andere Richtung, genau 45 Jahre später. Die fetten Jahre der schlanken BRD waren gezählt, und jetzt kam was? Womit ist dieses Deutschland nur schwanger? „Der Schoss aus dem das kroch …“ ist furchtbar noch. Und nöcher.
War der Gedanke hinter der grenzenlosen Europakarte etwa, den älteren Zusehern die allabendliche Schmach der neuen Grenzen zu ersparen, und gar nicht der europäische Gedanke, den ich so selbstverständlich angenommen hatte? Es kommt wohl auf die Perspektive an. Die Alten konnten nicht von Breslau, Posen und Danzig lassen, damit waren sie ja aufgewachsen. Uns sagten schon schon nicht mehr alle von Peter Frankenfeld imitierten Dialekte etwas, und unser Danzig hieß Glen mit Vornamen. Der warnte wenigstens unsere Mütter vor seinesgleichen, also Elvis-Imitatoren.
„Sitzt nicht jede Generation in ihrer eigenen Rakete fest? Oder meinetwegen im gleichen Zug?“, fragte ich laut. Heßler verstand meinen Gedankengang nicht, also fasste ich es schnell für ihn zusammen und schloss mit einem weiteren Gedankenblitz: „Beim Generationenkonflikt rasen die Züge auf dem selben Gleis mit Vollgas aufeinander zu, und jeder Schaffner schreit dem anderen zu: ‚Nein, du weichst aus!‘“
Seine Augenbrauen sahen kurz aus, als würden sie Seilspringen. Dann sagte er: „Wenn man das physikalische mal beiseite lässt, dann hast du hier ein allgemeinverständliches Beispiel für die Zeitdilatation gefunden. Mit Wetterkarten anstelle von Zügen. Respekt.“
„Und was ist denn mit dem Licht selber?“
„Was meinst du?“
„Na, du hast mir von Raumschiffen erzählt, die mit annähernd Lichtgeschwindigkeit fliegen, für die sich Zeit verkürzt und Entfernung verbiegen, oder was weiß ich. Aber was ist mit dem Licht? Wieso legt das ein Lichtjahr zurück?“