03.05.20

Auch wenn ihr es schon wisst, ich will es euch zurufen, damit ihr euch immer daran erinnert: es geht vorbei. Meistens gewöhnen wir uns sogar vorher noch daran, bis wir es ganz ausgeblendet haben.Wir hatten in eurem Alter unsere eigenen Dauerkrisen, fragt eure Eltern danach: Da waren die Atommächte mit ihren War Games und dem ewigen Wettrüsten, Sirenenalarm, von dem man erst nach einem Blick auf die Armbanduhr wusste, ob es ein Test oder der Ernstfall war, die Schallmauer durchbrechende Tiefflieger, unsere Klimakrise hieß saurer Regen, Waldsterben und Ozonloch. Klingt alles nicht nach einem „früher war alles besser“, in das irgendjemand zurück möchte, oder? Auch nach dem Mauerfall ging es so weiter, die brennenden Ölfelder in Kuwait konnte man vom Weltraum aus sehen, wie jetzt die Buschbrände – wir sind nicht untätig, sondern erinnern uns daran.
Selbst damals wurde etwas getan, bleifreies Benzin wurde eingeführt, die Katalysatorpflicht kam und ein weltweites Verbot von FCKWs. Lasst euch also keine Bären aufbinden, es ginge nicht oder die Wirtschaft hätte ein Problem damit sich anzupassen. Sie wollen nichts investieren müssen, aber wenn sie müssen, können sie sich sehr wohl bewegen.
Vergesst niemals, wie schnell die Politik jetzt auf das Corona-Virus reagiert hat, selbst wenn sie jetzt zurück rudert oder versucht Kapital für die eigene Partei aus der Sache zu schlagen. Das ist kein zahnloser Tiger der alles verschleppen muss, er kann auch heute noch kraftvoll zubeißen.
Jetzt sitzen gerade alle zu Hause, jetzt kann die Revolution aus den Kinderzimmern kommen.

Euer Patenonkel.

Oder sollte ich Papa schreiben? Nein, das wäre nicht witzig. So zu tun, als wäre alles wie immer, obwohl es sogar stimmt, ist eigentlich viel wichtiger. Weil es keine Rolle spielt, wenn man sich liebt.
Hab’s ihnen mal so geschickt, aber den alten Werbespruch am Ende gekürzt, der sich wieder eingeschlichen hat. Es ist wirklich verhext. Diese Sprüche haben eine längere Halbwertszeit als radioaktive Spaltprodukte. Das Ozonloch ist inzwischen zur Hälfte wieder geschlossen. Damals klang das noch so weit weg, und jetzt sind wir da.
Trotzdem spüre ich heute wieder die gleiche Unruhe.
Wie 1989.
Wie die Erdbeben in Aachen.
Kontinentalplatten verschieben sich kaum merklich unter unseren Füßen. Grundlagenforschung.

Dr. Heßler hat mich unerwartet abgeholt. Er vermisst unsere Gespräche und lud mich spontan zu einem nachmittäglichen Spaziergang ein. Woher weiß er eigentlich wo ich wohne? Zwar sah der Himmel gefährlich bewölkt aus, aber der Drang aus dem Haus zu kommen überwog, obwohl mir noch der lange Ausflug mit Walentyna in den Knochen steckte.

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