01.06.20

Wieder lachte sie. „Schön wär’s. Aber ich wollte ihrem Gesang ohnehin nur zuhören und ihnen nicht folgen. Ich schicke sie ja durch die Gegend.“
„Wo sie dann an Klippen zerschellen und von Spree-Piraten ausgenommen werden.“
„Eigentlich ist es genau umgekehrt: sie lassen sich allen möglichen Quatsch andrehen. Bemalte Betonstückchen mit Mauerzertifikat, Checkpoint Charlie Schneekugeln und DDR-Grenzermützen“, stellte Nadja sachlich fest. „Was läuft denn gerade bei dir so?“
„Bei mir?“, fragte ich überrascht. „Ach … nein, eigentlich nichts. Oder sagen wir noch nicht.“
„Oho, gibt es da etwa jemanden?“
„Hm“, druckste ich herum. „Ja, vielleicht.“ „Johann!“, rief Nadja. „Erzähl!“
„Ich habe sie in einer Bibliothek kennengelernt.“ „Und wer hat wen angesprochen?“
„Na ich sie.“
„So offensichtlich finde ich das nicht“, bemerkte Nadja.
„Sie arbeitet dort“, gestand ich.
„Oh, ach so!“ Sie lachte und ich erzählte ihr wie ich Walentyna kennengelernt hatte, schmückte die Geschichte aus um noch weitere Lacher aus ihr heraus zu kitzeln und kaum war ich richtig in Fahrt, kam ich schon in der Gegenwart an.
„Du klingst auch wie verwandelt. Glücklich. Trotz dieser ganzen Scheiße. Wann willst du sie denn fragen?“
„Wie, was fragen?“, fragte ich von der Frage total überrumpelt.
„Na ob sie dich mal hei…“ Mein Puls machte einen spontanen Rückwärtssalto und verstolperte die Landung. „Ob sie dich auf Heimaturlaub mitnehme will.“
„Was? Wieso?“ Von der Frage war ich nicht minder überrumpelt wie von der, die ich eigentlich – warum auch immer – herausgehört hatte.
„Warst du denn schon mal in Polen?“
„Nein.“
„Na siehst du? Dann wird’s Zeit, findest du nicht? Die ehemalige DDR hast du inzwischen zur Genüge bereist, und außerdem hast du es irgendwie mit Frauen aus dem Osten“, sagte sie lachend.
Da war was dran. Und zwar noch bevor ich Nadine und ihre Mutter kennenlernte, wenn ich darüber nachdenke. Meine erste große Liebe war auf dem Bildschirm: Luzie, der Schrecken der Straße. Konnte ein Mädchen aufregender klingen? Das war „street credibility“ unter Kindern, mit Kreide auf dem Gehweg. Da wollte ich mitlaufen, Abenteuer erleben, mich schützend vor sie stellen und von dem Klavierspieler zur Seite schubsen lassen, ohne jeden Zweifel. Das war eine erste Ahnung von Liebe, bevor ich wusste, was das überhaupt ist. Eine Sehnsucht danach einfach nur in ihrer Nähe zu sein, ein Ziehen im Bauch.

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