18.01.20

Lukas war noch nie mit einer gefahren, und das erfuhr der brechend volle Waggon, noch bevor sich die Türen hinter uns geschlossen hatten. Zur Überraschung aller wurde er dann urplötzlich still, griff nach der Haltestange über sich und sah betreten zu Boden, oder auf die Schuhe der jungen Frau vor ihm. Ich weiß nicht was ihm da durch den Kopf ging, aber endlich kehrte Ruhe ein, und man spürte alle um einen herum innerlich aufatmen, während die U-Bahn einschläfernd über die Gleise ratterte. Unvermittelt sah Lukas auf und der Frau tief in die Augen, ehe er diesen irren Satz aussprach, den ich nie, nie, niemals im Leben vergessen werde: „I bi fei vo Eging.“
Eging am See, für Münchner das originale Bielefeld, nur mit schlechterer Verkehrsanbindung.
In Bad Kissingen waren wir alle aus Eging. Die Architektur, der Habitus der Stadt versetzte uns 200 Jahre in der Zeit zurück, man war Untertan, ohne Rechte, höchstens Gast, dem ein Anblick zuteil wurde, der nicht für seinesgleichen bestimmt war. Wir kauften brav unsere Tickets und benahmen uns daneben. Nicht übermäßig, aber immer etwas neben der Spur. Was tat das gut, so herum zu albern! Wir waren damals Mitte 20, aber von heute aus gesehen waren wir noch immer Kinder, oder Teenager. Für Nadja und Daniel hatte es etwas therapeutisches, weil die Wunde mit Valentin noch immer nicht verheilt war, man konnte es spüren oder ahnen, dass sie uns ein bisschen Normalität vorspielten, deren Leichtigkeit sie verloren hatten. Und genau das war ihre Therapie, sie sprachen nicht darüber, aber waren nach außen glücklich zusammen. Lukas erzählte von seinen Jobs und wie er wieder aus ihnen flog, von seinem kleinen Bruder, der bei ihm wohnte, und wie er sich auf jeden Elternabend freute, an dem er für seine Eltern einsprang, das Lob der Lehrer erntete und genüßlich Goldhammer die letzten Schecks von der Hochsprungmatte überreichte.
Irgendwann fragte Daniel: „Hast du meine Eltern nochmal gesehen?“ Wir wussten alle, dass er eigentlich nach seinem Vater fragte, aber er brachte es noch immer nicht über die Lippen.
„Dei Mutter schon lang nimma. Weil die is weg zong, hod mia’d wer im Kirmse verzöid. I woas aba ned wohi.“
„Darauf hätte sie mal früher kommen können“, schimpfte Daniel leise.
„Der Speck is no immer der Oide. Er foahrt immer noch bei mir vorbei, aber nimma so oft wia im ersten Jahr.“
„Du meinst … er sucht mich noch immer?“
Lukas nickte. „Aba i glaub ned, das er mir hierher gfoigd is, wannst des moanst. I hob an Zug gnumma, bin in Regensburg ausstign, per Anhalter weiter nach Nürnberg, und da wieder in an Zuag.“
„Das hast du für uns gemacht?“, fragte Nadja.
„Ja scho. Und billiger war’s a no.“

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