06.01.20

„Das tut mir leid.“
„Ach, schon gut. Das hat mir gezeigt, wie sehr ich zu Hause in einem Trott gefangen war, dass mich schon die kleinste Abweichung aus der Kurve schleudert. Also danke für die Lektion.“ Er stieß mit mir an. „Die tat Not.“
„Äh, bitte“, sagte ich verunsichert, und schob noch ein „glaub ich“ hinterher, und nahm schnell einen Schluck.
„Was führt dich zu mir? Schon wieder Musikwünsche?“
„Nein, das ist es nicht. Oh, und vielen Dank natürlich.“ Ich sammelte mich, und Heßler wartete geduldig.
„Habe ich dir von dem Rechercheantrag erzählt, den ich zu meinem Großvater gestellt habe? Wo er im zweiten Weltkrieg war?“
Heßler schüttelte den Kopf.
„Gestern kam die Antwort. Im Kessel von Demjansk. Bis gestern wusste ich nichts darüber, und heute mehr, als ich jemals wissen wollte.“ Wir setzten uns, und ich nahm einen tiefen Schluck. „Das war so ähnlich wie ein zweites Stalingrad, aber es ist nicht der soldatische Teil, der mich beschäftigt.“
„Dachte ich mir.“ Hessler legte mir eine Hand auf die Schulter. „Weiß ihre Frau Mutter davon?“
„Frau Mutter?“
„Was denn, noch nie gehört? Ich mag die Formulierung, weil es nicht nur als Anrede funktioniert, sondern die Frau wieder von der Mutterrolle entbindet.“
Ich sah Heßler perplex an, ehe ich den Faden wieder aufnahm. „Nein, das kommt noch dazu.“
„Sprich besser mit ihr darüber, nicht mit mir. Ich hab meine Gefechte mit meinen Eltern – die noch selber Kriegskinder waren – schon vor Jahren ausgefochten.“
„Als sie noch lebten?“
„Das wäre mir lieber gewesen, aber nein.“ Er stand auf und klopfte nach kurzer Suche auf ein paar seiner Ordner in einem Regal. „Hier irgendwo fing es an, und dann zog es sich…“ Er nickte.
„Inwiefern?“
„Na bis dort drüben.“ Heßler nickte noch einmal zum nächsten Regal, dessen Bretter sich bogen.
„Oh.“
„Wenn dich das Thema interessiert, lies was von Sabine Bode. Das hat mir sehr geholfen, und sie hat auch über die Enkelgeneration geschrieben, also deinesgleichen.“
„Werd ich mir merken, danke.“ Im Gehen fiel mir noch etwas ein und ich blieb stehen. „Was hältst du eigentlich von dieser Lungenkrankheit in China? Muss man sich da Sorgen machen?“
„Würdest du einem Augenarzt vertrauen, der von der offiziellen chinesischen Linie abweicht und behauptet, dass es sich um eine Sars- Variante handelt?“
„Ist doch auch wieder grippeähnlich, oder? Bei den letzten Malen ist es gut gegangen, und das Virus blieb dort. “
„Und wenn es nicht gut geht?“
„Dann holt es sich gerade Stempel in seinem Reisepass.“

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