06.01.20

Ich schob mich mit dem Rücken an der Wand entlang die Treppe hinunter, und mit jedem Schritt wurde es noch dunkler. Auf dem unteren Treppenabsatz angekommen war es stockfinster, und das einzige Leuchten kam natürlich aus dem Keller. Unlogisch, aber ich schlief so tief, dass mich das nicht weckte. Statt zu fliehen, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, ging ich weiter hinunter in den Keller. Unter meinen Fusstritten knisterte es, ich trat auf Briefe, die herum lagen, und an meinen Schuhen kleben blieben. Die Rohre der Kaffeemaschine waren jetzt natürlich am anderen Ende des Ganges, dazu musste ich aber an einer offenen Tür vorbei, aus der es rötlich schimmerte. Was auch sonst? Dort gab es zu Essen, der Hunger wartete am hinteren Ende. Sollte ich was zu Essen mitbringen? Natürlich. Nichts von all dem wollte ich. Jetzt lagen nicht nur Briefe am Boden, sondern auch Schuhe und abgeschnittene Haare, dazwischen vereinzelt Schulbücher, Urkunden und Koffer. Ich wusste woran mich das erinnerte, erschrak, Hände griffen von hinten nach meinen Schultern, ich versuchte mich zu befreien und hier sitze ich nun, unfähig auch nur an Schlaf zu denken.
Was noch schlimmer ist, ich muss mich für die Arbeit fertig machen und hier gleich ins dunkle Treppenhaus. Nach unten. Wie soll ich das denn bitte anstellen? Mich vom Balkon an aneinander geknoteten Bettlaken abzuseilen, erscheint mir gerade als völlig logische Alternative.

Ich hab dann doch die Treppe genommen. Dabei habe ich mich fast auf die Fresse gelegt, aber als ich draußen war, konnte ich zum ersten Mal richtig aufatmen. Und als ich den ersten Menschen im Bus begegnete, hatte der Traum endlich seine Macht über mich verloren, und ich ging arbeiten. Morgen habe ich frei, und war drauf und dran stattdessen mit jemandem zu tauschen. Aber Schwester Anita hat gerade Nachtschicht, und die hat mich komplett mit ihrer Frage durcheinander gebracht, wann ich denn mal wieder eine machen würde, dass mir freie Tage dann doch lieber waren. Nach der Schicht habe ich Dr. Heßler einen Besuch abgestattet.
Davon war der gar nicht so begeistert, wie ich es gehofft hatte. Er wirkte wütend und verwirrt, auf seinen Händen waren Flecken, und ich dachte schon, dass er über Silvester gealtert sei, aber dann bat er mich um Entschuldigung. Und herein.
„Ach, es ist wegen deiner Farbbänder. Ich hab es mit dem grünen probiert, aber mir war die ganze Zeit, als hätte ich etwas mit den Augen.“
„Grünen Star?“, scherzte ich hilflos, was er gnädigerweise überhörte.
„Nun ja, und dann habe ich mich so geärgert, dass ich nicht mehr wusste, was ich schreiben sollte, und stattdessen versucht das Band schwarz zu färben.“ Er hielt seine Hände zum Beweis hoch. Von einem Chirurgen hätte ich eigentlich mehr Fingergeschick erwartet, als bei mir, aber andererseits war das eine Operation ohne Assistenz und unter nicht optimalen Bedingungen, wie ein Blick in seine Küche bestätigte, aus der er zwei Bierdosen holte. „Aber die Farbe ist nicht überall gleichmäßig haften geblieben, also eher außen. Jetzt kommt nach zwei Seiten schreiben schon wieder das Grün durch, und es hat mich aus dem Absatz gehauen.“ Die Dosen zischten, als er sie gleichzeitig einhändig öffnete, und mir eine reichte.

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