30. Dezember 2019 – Spätschicht

Dann fing sie schließlich selbst damit an mehr über die Sterne, Galaxien und den Weltraum zu lesen, und sendete dieses neue Wissen wie eine Sonde zu ihrem Vater aus, an dem sie vorbei flog, und oft nicht mehr als ein Foto schießen konnte, wie er müde mit dem Kopf nickte und ein wenig lächelte. Jetzt war auch schon immer häufiger sie diejenige, die mehr wusste, als er. Ihr Vater tauchte nur aus dem Nichts auf, wenn sich ihr ein Kosmonaut näherte, oder umgekehrt.
„Johann, ich bin mein Vater. Was will ich denn hier? In einem Kontrollzentrum sitzen, wenn ich doch nur den Himmel sehen will? Nicht durch eine Kamera auf einem Bildschirm, nicht projiziert wie in einer Sternwarte, durch kein Fernrohr, sondern auf dem Rücken liegend, mit nichts über mir, als den Sternen.“
„Du bist nicht dein Vater. Er hat dich auf die Sterne gestoßen, ja, aber was du daraus gemacht hast… was du dort oben findest…“
„Sein Licht kam schon von einem toten Stern, Johann. Das Licht konnte ich auf der Erde noch sehen, aber da war kein Leben mehr dahinter, der Ursprung war längst erloschen.“ Sie seufzte. „Damals wäre ich mit jedem von euch dreien abgehauen, egal wer da in Gießen vor mir gestanden hätte. Ich war schon nicht mehr die gleiche Person wie in Vilshofen, aber ich hatte Vertrauen zu jedem von euch. Ich weiß nicht wieso, es lag irgendwie an der Zeit, dem Moment, aber man konnte euch direkt in die Seele gucken. Leider auch meinem Vater. Ihr wart alle noch so naiv und unschuldig. Ich konnte es kaum fassen.“
„Waren wir das?“
„Und ob. Oder hatte einer von euch etwa schon Sex gehabt?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht dass ich wüßte. Du etwa?“
Nadine lächelte undurchschaubar.
„Was… soll das etwa heißen du hattest damals schon… also vorher, in der DDR?“
Ihr Lächeln wurde bitter und sie sah zur Seite. „Wenn mein Vater das nur geahnt hätte, wäre ich dann noch seine Sternschnuppe gewesen? Oder nur noch schnuppe…“
„Ok, ja, nein, ich… weiß nicht.“ Also hielt ich die Klappe und zündete uns stattdessen eine Zigarette an, die wir gemeinsam rauchten. Wie damals. „Das heißt, wenn ich und nicht Daniel nach Gießen gekommen wäre, dass du mit mir durchgebrannt wärst?“
Nadine überlegte nicht lange. „Ja. Es spielte wirklich keine Rolle. Ich hatte vielleicht eher Daniel im Auge, aber nur um an was anderes zu denken. Ich kannte ihn damals ja noch kaum, keinen von euch. Als ich auf den Zug gewartet habe, wusste ich noch nicht wer von euch drinnen sitzt. Ich habe mit Daniel gerechnet, Daniel gedacht und alles, aber es wäre mir in dem Moment egal gewesen. Es war wieder so, wie auf meinen Vater zu warten, der doch nicht nach Hause kam. Nein, besser, weil der Zug würde kommen, vielleicht mit Verspätung, aber sogar dann noch mit Ansage.“
„Wer aussteigt war dein Daddy? Au!“
Nadine boxte mich in die Seite. „Red doch keinen Scheiß, Johann!“

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