30. Dezember 2019 – Spätschicht

Sie hatte ihr Studium abgeschlossen und überlegte für die ESA hierher, oder nach Oberpfaffenhofen zu gehen. Das klang so sehr nach Trennung von Daniel, der weiter durch die Berliner Tonstudios tingeln würde, und ich konnte oder wollte mir nicht vorstellen, dass es zwischen ihnen vorbei sein sollte. Sie hatten so viel miteinander durch gemacht, das schlimmste lag damals schon lange hinter ihnen. Ok, das weiß ich jetzt, aber sie müssen seinerzeit einen anderen Eindruck von ihrer Situation gehabt haben. Ich wollte das gerne zwischen ihnen kitten, aber als Nadja ohne Daniel vor mir stand und mich umarmte, purzelten die Jahresringe von mir ab, und ich fühlte mich wieder so, als sei kein Tag seit dem Flüchtlingslager vergangen. Wie konnte das sein?
Die widersprüchlichen Gefühle in mir führten zu einem Kurzschluss. Ich war wie ferngesteuert, nicht mehr Herr meiner selbst. Eine Sicherung war durchgebrannt, das rote Kabel durchgeschnitten, und die Bombe tickte trotzdem weiter. Wenn ich ihr zu nahe käme, würde ich verglühen. Mein Herz brannte bereits lichterfroh.
Nadja muss das gespürt haben. Es war eh nicht zu übersehen, glaube ich. Sie hielt Abstand und sah wenig in meine Richtung. Das kann auch an der Führung gelegen haben, der ich eindeutig zu wenig Aufmerksamkeit schenkte, aber da war nie mehr als ein kurzer Seitenblick, kein Lächeln, nichts, fast so als würde sie durch mich hindurch schauen. Trotzdem hatte ich nur Augen für sie, und ich wollte von ihr gesehen werden. Alles zog sich endlos, aber ich war bei ihr, nur das zählte.
Dann ging es ins Hotel, wir verabschiedeten uns am Fahrstuhl voneinander, und ich fuhr nach oben. Bevor die Türen wieder aufgingen liefen mir schon die Tränen über das Gesicht, ich fand mit Mühe mein Zimmer, und dort brachen alle Dämme. Wie das Hoch- Wasser, ha ha, mein Sarkasmus half nichts, und Gummistiefel hatte ich auch keine.

Ein paar Tage keine Nachrichten mitbekommen, und auf der Arbeit dreht sich alles um ein Kinderlied mit neuem Text. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich satirischer finde: das Lied selbst oder die Auseinandersetzung damit. Talmüller hätte uns das um die Ohren geschlagen. Von wegen Lesekompetenz. Fehlender Respekt vor der Generation unserer Großeltern – dass ich nicht lache. Als ob sie ihren Opas jemals kritische Fragen gestellt hätten, wieso ihre Heimat plötzlich einfach so in Schutt und Asche lag, und überhaupt ein Wirtschaftswunder benötigte? Also mein Opa war sehr viel in einer Wirtschaft gewesen, und Oma wunderte sich derweil zu Hause, wo er denn blieb. Lieber Hühnerstall als dieses ewige Rumgegockel.
War noch schnell einkaufen, weil heute schon die ersten Deppen mit nem Knall ihre Böller ausprobiert haben. Wahrscheinlich Generalprobe.

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