02.01.20

Eigentlich schon als sie wieder schwanger war. Ihre Ängste waren riesengroß, obwohl die Schwangerschaft unkompliziert verlief. Aber das war bei Valentin auch lange so gewesen, und ich versuchte sie zu beruhigen, rief fast jeden Tag an und fuhr so oft hin, wie es mein Dienstplan erlaubte.
Von den Ultraschalluntersuchungen wussten sie schon, dass Zwillinge unterwegs waren, nur deren Geschlecht wollten sie dann noch nicht vorab erfahren.
Die Geburt – Mir kommt es immer noch so vor, wie gestern. Die frischgebackenen Eltern baten mich um Hilfe, wahrscheinlich um mal eine Pause einzulegen, oder vielleicht hatten sie sich auch schon an mich gewöhnt, wer weiß. In ihrem Umfeld gab es ja keine Großeltern, die hätten einspringen können, oder Babysitter, die länger als für einen Abend zu buchen waren. Das ging so weit, dass ich jeden Tag bei ihnen anrief und nach ihnen fragte, Tipps gab, sie mir erzählten, was sie neues herausgefunden hatten und so weiter, immer hin und her. Und ich hatte inzwischen ja auch genug Berufserfahrung gesammelt, da lag es irgendwo nahe. Also sprang ich so oft es ging in den Zug, legte meine freien Tage zusammen, und ab nach Berlin.
Als die beiden Rabauken dann zur Welt kamen, gesund und quicklebendig, waren Daniel und Nadine zum ersten Mal wieder so entspannt, wie zuletzt in … Dings – Bad Kissingen! Wo wir zuletzt alle zusammen waren. Dennoch habe ich anfangs mit ungeahnten Problemen zu kämpfen gehabt. Das ganze erste Jahr hatte ich mehr Angst vor dem plötzlichen Kindstod, als ihre Eltern, und zählte die Tage bis zu ihrem Geburtstag herunter wie einen magischen Countdown, nach dem nichts mehr schiefgehen konnte. Außerdem waren es keine Patienten, sondern die Kinder meiner besten Freunde, und ich hatte in der Hauptstadt keine Klinik um mich herum, was einem ein nicht zu unterschätzendes Gefühl der Sicherheit vermittelt. Hier übernahm nicht mal eben ein Kollegin, wenn man auf’s Klo ging, sondern zwei Unfallmagneten waren für 180 Sekunden unbeaufsichtigt. Das unterschätzt man gewaltig, dann der fehlende Feierabend – man bleibt in Bereitschaft, räumt leise auf, kann nicht einschlafen, weil das Gedankenkarussell eine Ehrenrunde dreht. Wenn man dann aber allein die Zeit mit zwei fiebernden Kleinkindern überstanden hat, die mit Brechdurchfall kämpfen und einen natürlich anstecken, dann weiß man, was Eltern tagein, tagaus leisten. Kaum war ich weg, fehlten mir die beiden. Dann hustend und zittrig im Zug nach Hause zu sitzen, dabei aber zufrieden und vor Stolz grinsend, hat man sich ein Abzeichen verdient. Freischwimmer oder so. Zu meinem Glück haben Nadja und Daniel nicht locker gelassen. Sie waren von Anfang an davon überzeugt, dass ich mit den beiden zurecht käme. So war es dann ja auch. Jetzt, wo sie älter sind, kommt es mir wie das natürlichste der Welt vor, dabei ist dieses Vertrauen langsam mit uns gewachsen.
Den beiden dabei live zugucken zu dürfen war besser als fernsehen: Als sie sich noch nicht auf den Bauch drehen konnten oder aus dem geplanten Nach-vorne-krabbeln ein Nach-hinten-schieben wurde. Wenn man weitermacht, führt das vielleicht nicht gleich zum gewünschten Ergebnis, oder halt auf Umwegen: Dennis stieß vorwärts an ein Regal und Clara rückwärts an eine Wand. Beide konnten sie sich dort bald hochziehen bzw. aufrichten und haben dann diese komischen Kniebeugen gemacht, wie sie nur Babys mit unsicherem Stand beherrschen. Wie eine sehr ungelenke Ballerina an der Stange wackeln sie erstaunt hin und her, verblüfft über die eigene Leistung. Und was jetzt? Bald darauf stehen sie sicher und es folgen erste Schritte und viele von Windeln abgefangene Stürze auf den Allerwertesten. Es gab alles, nur kein Aufgeben. Wo ist dieser Enthusiasmus hin, der uns allen noch als Baby eigen war? Er wird uns ausgeredet. Bis wir es irgendwann glauben, und etwas in uns stirbt.

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.